Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan
Anteil zufriedener Väter höher als bei den Müttern.
Die weiterhin stark ausgeprägte Rollenaufteilung hat natürlich ihren Preis. Mütter entscheiden weitgehend allein, wie das Kind erzogen wird und womit es seine Zeit verbringt. Kaum ein Vater macht sich die Mühe, später Kindergarten und Schule selbst einmal in Augenschein zu nehmen. Einmal im Jahr kommt er zum Sommerfest und natürlich zur tränenreichen Verabschiedung der Kindergartenzeit im März des siebten Lebensjahres. Die Mütter müssen derweil das ganze Jahr über aktiv bei der Gruppenarbeit mithelfen, ein wichtiger Grund, warum Mütter mit kleinen Kindern kaum arbeiten gehen. Die betroffene Familie wäre sozial völlig isoliert. Die Verpflichtung zum regelmäßigen Basteln, Kochen oder Betreuen bei Ausflügen entfällt immerhin in der Grundschule. Jetzt gibt es neben dem amüsanten Sportfest mit Picknick, bei dem die meisten Väter gelangweilt neben den schwatzenden Frauen sitzen, nur noch den gefürchteten Elterntag und den Lehrerbesuchstag. Beide Tage werden von Vätern gemeinhin gemieden, und das mit gutem Grund. Am japanischen Elterntag sind die Eltern aufgefordert, sich ihre Sprösslinge während des Unterrichts anzuschauen. In Deutschland geht so etwas nur mit besonderer Genehmigung der Schulbehörde, in Japan ruft die Schule dreimal im Jahr zu dieser Vorstellung der besonderen Art. Der Elterntag ist hart für die Frauen, denn nun zeigt es sich, ob der Nachwuchs sich auch ohne die mütterliche Hand zu benehmen weiß. Für die einen endet die Schaustunde im Schock, andere finden das Ergebnis besonders schön. Logisch, zu welcher Hälfte ich mich regelmäßig zählen durfte. Dabei zog ich brav wie alle anderen Mütter mein dunkles Kostüm mit Perlenkette an und stellte mich möglichst unauffällig hinten an die Klassenwand. Dort standen wir nun aufgereiht wie die Hühner auf der Stange und taten so, als ob wir allesamt unsichtbar wären. Trotzdem war sofort klar, zu wem der ungeduldige Junge in der vierten Reihe gehörte. Genau der, der immerzu ungefragt die Antworten in den Raum rief. Es sollte allerdings noch schlimmer kommen. Den Kindern wurden große Lernkarten mit Übungen zur Multiplikation hingehalten. Die Schüler riefen sofort die Antworten in den Raum – in diesem Fall gewünscht. Ich konnte die Aufgaben kaum lesen, so schnell zückte Sensei eine Karte nach der anderen. Und alle bis auf einen wussten wie aus der Pistole geschossen die richtige Antwort. Wer war wohl der eine? Richtig, es war der Junge, dessen Mutter bei den Hausaufgaben daheim immer gesagt hatte: „Junge, lass dir Zeit. Denk in Ruhe nach, niemand hetzt dich.“ Niemand hetzt dich? Schön wär's.
Dafür konnte ich beim zweiten Schreckenstag der japanischen Grundschulwelt, dem Lehrerbesuchstag, ordentlich punkten. Was bei uns noch nicht mal das Jugendamt darf, macht hier regelmäßig jeder Grundschullehrer: Einmal im Schuljahr schaut der Klassenlehrer vorbei, um sich einen Eindruck von den Familienverhältnissen seiner Schützlinge zu machen. Vorab erhält jede Familie eine Mitteilung, wann Sensei in den eigenen vier Wänden erscheinen wird. Komplett mit Regelkatalog: „Bitte halten Sie die zehn Minuten Besuchszeit ein. Servieren Sie keinen Kuchen und Getränke.“ Sensei kam immer wesentlich später als angekündigt, denn natürlich servierten alle Mütter Selbstgebackenes mit einer Tasse Tee oder Kaffee. Sensei schaute sich dezent im auf Hochglanz polierten Wohnzimmer um, ließ sich von den Kindern ihr Lieblingsspielzeug zeigen und plauderte über Fortschritte und Zielvorgaben. Am nächsten Tag verglichen die Mütter dann eifrig, wie lange sie wo gesessen hatte. Immerhin waren wir hier eindeutiger Spitzenreiter.
In unserem Wohnblock gab es so viele Kinder, dass die Familien sich zusammenschlossen und für einen Nachmittag in der Woche einen Kalligrafielehrer für die Kinder in den Gemeinschaftsraum bestellten. Der Lehrer erhielt sein Geld immer in bar, einmal im Monat steckte ich umgerechnet 20 Euro in einen Umschlag, den der Mann als Beleg abstempelte und dem Kind wieder zurückgab. Das deutsche Finanzamt wäre von den japanischen Methoden entsetzt gewesen! Je nach Klassenstufe erhielten alle Kinder Unterricht im Schreiben mit dem Pinsel, zur Vorbereitung auf die Schule, denn ab der fünften Klasse gab es das dann auch als Schulfach. Undenkbar, erst dann mit dem Üben zu beginnen! Unser Ältester ist Linkshänder, allerdings durfte er nur bei dem Privatlehrer mit
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