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Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan

Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan

Titel: Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Liew
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Nachmittagsschule zum Lernen besuchten und sie gerne mitgegangen wäre, habe ich Rabenmutter abgewiegelt und gesagt: „Schau, dafür ist die Schule da. Jetzt ist Zeit zum Spielen und später lernst du dann wie die Großen. Das wird sonst gaaanz langweilig am Anfang“. Von wegen. Wir lebten in Tsukuba, der Science City von Japan. Rings um uns nur Wissenschaftler mit ehrgeizigen Wissenschaftlerehefrauen und deren intensiv betreuten Wissenschaftlersprösslingen. Lernen hatte hier eine ganz besondere Dimension.
    Dabei war das Mädchen ja nicht unser Versuchs-Erstklässler in Japan. Ihr großer Bruder besuchte mittlerweile ohne nennenswerte Probleme die vierte Klasse. Doch seine Erstklässlererfahrungen machte er nicht in der Forscherstadt Tsukuba, sondern in der ganz gewöhnlichen Millionenstadt Sendai. Dort war er der einzige Ausländer an der sehr großen Grundschule, dort gab es nicht nur Kinder der Bildungselite, sondern überwiegend Schüler, deren durchschnittliche Salariman- Väter ihr Leben nicht ausschließlich der Forschung widmeten. An der Schule in Sendai fing man wirklich bei Null an und kaum ein Kind hatte Vorwissen. Hier ging es beim Ausflug ganz klassisch in den Zoo und nicht zur NASDA, der japanischen Raumfahrtbehörde, wie das später die Drittklässler in Tsukuba machten. In Sendai präsentierten die Kinder am Tag der offenen Tür Selbstgebasteltes und keine Posterpräsentationen über erste Forschungsversuche, vor denen dann die stolzen Väter in der Mittagspause fachsimpelten. Unser Ältester erlebte beide Welten intensiv. Noch in Sendai besuchte er den einzigen Waldorf-Kindergarten nördlich von Tokyo, er hatte also weder Erfahrung in der schrill-bunten Welt der Mangafiguren noch frühkindlichen Unterricht in Lesen und Schreiben erhalten. Dafür konnte er Reis ernten und seinen Namen tanzen. Diese für Japan ungewöhnlichen Fähigkeiten kosteten uns auch nicht mehr als andere private Kindergärten in Sendai: rund 1 000 Euro als Aufnahmegebühr und monatlich knapp 350 Euro. Japanische Standardpreise also. Dafür verfügt hier jeder Privatkindergarten über eigene Buslinien und sammelt seine Schützlinge im gesamten Einzugsgebiet ein und bringt sie am Nachmittag wieder heim. Einen Platz in einem städtischen Kindergarten für knapp 80 Euro monatlich bei gleichem Qualitätsanspruch gibt es in Großstädten nur für sozial schwache Familien – Bewerbung hoffnungslos.
    In Tsukuba ist alles anders. Um junge Familien anzulocken, investiert hier die öffentliche Hand massiv in die Bildungseinrichtungen. Kein Kind muss mehr als ein paar Minuten zur nächsten Grundschule laufen, mehrere Freibäder bieten im Sommer eingebettet in den zahlreichen Parks für wenig Geld Abkühlung. Großzügige Spielflächen unter schattigen Bäumen umgeben die öffentlichen Kindergärten in traditioneller Bauweise mit viel Holz, eine Seltenheit in Japan. Gewöhnlich ist die Architektur von Kindereinrichtungen von übermaltem Waschbeton und lieblos hergerichteten Spielplätzen dominiert und strahlt eine Tristesse aus, die man eher bei alten Berliner Plattenbauten erwartet als in Japan. War ich in Sendai ein strikter Gegner von kitschigen Kindergärten mit Hello-Kitty-Motiven und regelmäßiger Fernsehstunde, meldete ich unsere vierjährige Tochter nach unserem Umzug nach Tsukuba im städtischen Kindergarten um die Ecke an. Ich wollte es nochmals tapfer mit dem früherzieherischen Mainstream Japans versuchen. Natürlich gab es auch hier private Einrichtungen der etwas anderen Art, wie zum Beispiel einen Montessori-Kindergarten. Aber der lag sehr weit weg (ohne Bus!) und sollte 800 Euro im Monat kosten. Außerdem gab es noch einen Waldkindergarten, bei dem die Kinder während der Betreuungsstunden täglich stundenlang umherliefen und im feucht-heißen Sommer extrem erschöpft heimkehrten. Natur ist klasse, aber vor Müdigkeit taumelnde Kleinkinder fand ich dann doch etwas erschreckend. Nicht zu vergessen die Internationale Schule mit integriertem Kindergarten. Beides untergebracht in einem gewöhnlichen Familienhaus unter der Leitung beseelter amerikanischer Missionare. Seitdem ich einmal ein längeres Gespräch mit zwei jungen und äußerst schnieken Mormonen hatte, die mir ernsthaft weismachen wollten, dass Jesus in Salt Lake City gelebt habe, finde ich nicht mehr den richtigen Draht zu den Leuten. Nichts vom breit gefächerten Spektrum der Früherziehung gefiel mir wirklich. Letztendlich siegte die Vernunft, der ordentliche

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