Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan
sondern in allen Ballungsräumen Japans. Als Reisende und Frühaufsteherin habe ich oft die Wartenden am Straßenrand gesehen. Kommt dann endlich der ersehnte Kleinbus der Baufirma und sucht sich ein, zwei Arbeiter für den Tag aus, bleiben die Überfünfzigjährigen meist zurück. Sie hängen überall zwischen den Stühlen, zu jung für Sozialhilfe und zu alt für den Knochenjob auf dem Bau. Erhalten in Deutschland knapp acht Prozent der Einwohner unabhängig vom Alter Arbeitslosengeld, bekommt in Japan gerade mal ein Prozent der Bevölkerung finanzielle Unterstützung aus dem Staatssäckel. Nur bei Arbeitsunfähigkeit werden Männer unter 65 berücksichtigt, ansonsten gelten sie allein für sich selbst verantwortlich. Mit dem 65. Geburtstag beginnt dann endlich das erlösende Rentnerdasein. Herr Shimodas Nachbar ist übrigens 63 und freut sich, dass er nur noch zwei Jahre durchhalten muss, bis er sich vielleicht von der Rente wieder eine richtige Wohnung leisten kann. Früher sorgte die Großfamilie für ihre Pechvögel und Alten, doch die gibt es heute kaum noch. Der Staat weiß, dass er seine Aufgaben im Sozialbereich ausbauen muss, doch noch scheitert die Umsetzung vielerorts an den Finanzen.
Die Stadt Osaka mit ihrer hohen Zahl an Wohnungslosen hat indes ein besonderes Projekt gestartet: Obdachlose über 55 können sich in eine Liste eintragen und erhalten so im Rotationsverfahren bis zu viermal im Monat für einen Tag Arbeit. Unkrautjäten, Putzen öffentlicher Gebäude, es erinnert stark an unsere Ein-Euro-Jobs, und so sehen es auch die Japaner. Es hinterlässt einen bitteren Beigeschmack, wenn man auf „besonderen Listen“ registriert ist. Täglich finden hier immerhin 250 Obdachlose eine Möglichkeit, Geld zu verdienen. Über 80 Prozent der Nichtsesshaften geben übrigens an, regelmäßig zu arbeiten. Das bedeutet nicht, dass sie eine feste Anstellung haben. Wie Herr Shimoda sammeln sie Wertstoffe wie Papier und Dosen und verkaufen es dann weiter. Manche haben das Glück, hin und wieder in Gaststätten aushelfen zu dürfen. Und dann gibt es noch die Wohnheime, die einem zwei Monate Unterschlupf gewähren. Während dieser Wochen muss die Rückkehr in ein geregeltes Leben gelingen. Die Adresse des Heims darf man bei der Arbeitssuche als festen Wohnsitz angeben, ansonsten hilft das Arbeitsamt nicht weiter, und keine Firma nimmt die Bewerbung an.
Es gibt als Alternative noch andere Schlafstätten, die besonders gern von der neuen Generation Obdachloser angenommen werden. Die zugigen Pappbuden- und Plastikplanen-Kommunen sind vor allem das Revier der Alten, die Jungen zieht es an die Computer und zu den Manga-Regalen der billigen Kaffeehäuser, wo sie den Tag und manchmal auch die Nacht verbringen. Mittlerweile soll es allein in Tokyo über 5 000 junge Obdachlose geben. Sie sitzen nicht trinkend und mit ihren Hunden spielend vor dem Bahnhof und hauen auch niemanden um Geld an. Die meisten schlagen sich mit miserabel bezahlten Gelegenheitsjobs durch. Ansonsten aber lassen sich die Geschichten japanischer Trebegänger mühelos mit denen der deutschen vergleichen. Kaputte Familien, Schulprobleme und Arbeitslosigkeit treibt auch japanische Jugendliche auf die Straße oder besser: ins Internetcafé.
Diese Cafés bieten rund um die Uhr nicht nur ein trockenes Plätzchen mit ganz viel Ablenkung vom eigenen Elend, sondern auch Duschen und ein wenig Privatsphäre in Einzelkabinen. Für relativ wenig Geld – eine Kabine kostet monatlich so viel wie ein Platz im städtischen Wohnheim – lässt sich hier sauber und sicher die gesamte Nacht verbringen. Manche der jungen Leute sind hier schon so fest etabliert, dass sie das Café als Wohnsitz angeben. Herr Saito, der Betreiber eines Internetcafés in der Stadt Saitama, bezeichnet sich mit diesem Service als Retter in der Not: „Wer keine Wohnung hat, bekommt von der Stadt keine Meldebescheinigung. Ohne Meldebescheinigung kann man sich aber nicht um einen ordentlichen Job bewerben. Wir bieten den Leuten eine Postadresse und leisten so unbürokratische Hilfe zum Neuanfang.“ Das Konzept ist erfolgreich, mittlerweile gibt es in Tokyo mehrere Zweigstellen und tatsächlich akzeptieren einige Verwaltungen sie als offiziellen Wohnort. Ungern spricht Herr Saito darüber, dass die Net Cafés ordentlich Umsatz machen, denn die Kosten für einen sogenannten Longstay belaufen sich pro Monat auf umgerechnet 600 Euro. Dafür ließe sich auch in den Ballungsräume eine
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