Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan
Zen-Tempel in Japan bieten eine Art Schnupperkurs für Anfänger an. Sie haben nichts dagegen, wenn Interessierte vorbeischauen und das Klosterleben ein wenig kennenlernen wollen. Niemand fragt, ob man Christ, Muslim oder sonst was sei. Wer mitmachen will, ist jederzeit willkommen. Wer gehen will, wird nicht aufgehalten. Der Mensch hat halt je nach Lebensabschnitt andere Bedürfnisse, und die Religion muss dem gerecht werden und nicht der Mensch der Religion. Der Staat unterstützt diese Offenheit, indem er sich strikt von jedweder Religion fernhält. Glaube ist Privatsache, in Japan darf jedermann nach seiner (religiösen) Fasson glücklich werden. Es gibt keine religiösen Feiertage mehr, keinen Religionsunterricht und nirgendwo die Spalte im Formular, zu welchem Glauben man sich denn nun bekenne.
Streit um Kopftücher und Kruzifixe sind in Japan undenkbar, die beiden Hauptglaubensrichtungen Shintoismus und Buddhismus kennen kein bindendes Glaubensbekenntnis oder gar Missionarseifer. Und da sie seit 1 500 Jahren friedlich Seite an Seite existieren – Amaterasu als oberste Göttin des Shintoismus verkündete gleich bei der Einführung des Buddhismus, sie sei eigentlich eine Erscheinung Buddhas –, stand der Doppelverehrung nichts im Weg. Seitdem überlappen sich im Volksglauben Riten und Gebräuche beider Religionen, buddhistische Tempel finden sich regelmäßig mitten auf einem shintoistischen Schreingelände. Und so kommen japanische Umfragen immer wieder auf 80 Prozent Buddhisten und 95 Prozent Shintoisten, doppelt gemoppelt hält eben besser.
Ausnahme und daher wohl auch extreme Minderheit bildet das Häuflein japanischer Christen. Haben sich Japaner einmal zum Christentum bekannt, richten viele ihr Leben unglaublich strikt daran aus. Ihr Alltag bewegt sich nur noch im Rahmen ihrer Gemeinde mit stundenlangen Gottesdiensten und Bibelstunden. Gerne hätte ich auch mal für mich allein einen Gottesdienst in Japan besucht, aber der Missionseifer der Gemeinde wurde mir schon nach kurzer Zeit zu viel. Als ich mich weigerte, meinen Mann zu bekehren, da war ich gerade mal den zweiten Sonntag dabei, sagte mir eine Frau ernsthaft: „Mein Mann will sich auch nicht taufen lassen. Aber er und die Jungs müssen nun alleine klar kommen. Ich habe mich für Gott entschieden.“ Ich habe mich dann auch ganz schnell entschieden, aber für meine Familie.
Das Gros der Japaner sieht im Christentum eher eine willkommene Aufpeppung des eigenen Alltags. Weihnachten feiert die Nation mit wachsender Begeisterung ohne sich um Sinn und Zweck zu scheren. Eine richtige Hochzeitsfeier ist nur komplett, wenn das Brautpaar auch von einem vermeintlich christlichen Priester gesegnet wurde. Also bieten die Hotels in ihren Hochzeitspaketen auch eine kurze Trauung in der hauseigenen Kapelle inklusive blondem Priester an. Dass der Priester zumeist keiner ist, sondern ein angeheuerter Student oder Sprachenlehrer, stört hier niemanden. Hauptsache, es ist schön feierlich und exotisch westlich. Eigentlich nicht unähnlich unserer Zen-Meditation, wo wir auch mal kurz in eine andere Religion reinschnuppern, ohne uns groß um die Gesamtbedeutung zu kümmern.
Hier ein Gebet am Schrein, dort eine Opfergabe vor einer kleiner Buddha-Statue, auf den ersten flüchtigen Blick scheint das Hin und Her zwischen den Religionen planlos. Doch das ist es keineswegs, es herrscht Arbeitsteilung zwischen den Religionen.
Alle Buddhisten eint das Ziel, das Leid dieser Welt hinter sich zu lassen und den Zirkel der Wiedergeburten zu durchbrechen. Allein der Glaube an Buddha und die Überwindung schlechter Taten und Gedanken, dem persönlichen Karma, bringen dem Menschen die Erlösung. Wie das zu vollbringen ist, zeigt die historische Figur des Buddha. Die unzähligen Bodhisattvas, Erleuchtete auf dem Weg zum Nichts, denn vom Paradies sprach Buddha nicht, verehren die Gläubigen ebenfalls. Obwohl diese Heiligen kurz davor stehen, den Zirkel der Wiedergeburten endgültig zu durchbrechen, schieben sie ihre persönliche Erlösung auf, um den leidenden Menschen den Weg zu weisen. Denn wer will schon immer wieder als Schnecke oder Ameise ins Leben zurückkehren? Aus dieser Vorstellung heraus entstand der tiefe Respekt vor sämtlichen Lebewesen, gläubige Buddhisten sind daher auch strenge Vegetarier und lehnen sämtliche Rauschmittel wie Alkohol und Tabak ab. Das ist dem Durchschnittsjapaner meist eindeutig zu lästig. Er mag nicht von seinen kleinen täglichen Sünden
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