Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan
Balkon verschwunden. Ob er allein den Weg in die Freiheit fand oder jemand dezent nachhalf, wird wohl ein Familiengeheimnis bleiben. Sein Nachfolger wurde eine Schildkröte, zu einem Haustier mit Kuschelcharakter brachten wir es in Japan irgendwie nie.
Götter sind auch nur Menschen
Meine Beine schmerzen, meine Beine schmerzen, meine Beine schmerzen …! Ich kann an beinahe nichts anderes denken und dabei soll ich doch nichts denken. Mein Kopf ist voll, mein Bauch jedoch leer. Ich will Kaffee, wann es wohl Frühstück gibt? Haben die wenigstens Milch hier? So wird das nichts mit meiner persönlichen Erleuchtung, ich kann einfach nicht innerlich abschalten. Dabei sollte uns dieses Wochenende himmlische Ruhe und Entspannung bringen. Meine amerikanische Uni-Freundin hat mich dazu überredet, japanische Freunde winkten allesamt lustlos ab. Kein Interesse, keine Zeit, kein Geld, die Ausreden ähnelten sich irgendwie. Ganz im Gegenteil zu den enthusiastischen Ausländern: Als ordentlicher Gaijin 1 muss man das einfach mal mitgemacht haben. Eine Übernachtung im Zen-Tempel ist quasi Beleg und Gütesiegel in einem, dass man zum Insiderzirkel der echten Japankenner gehört.
Bei unserer Reise in die Ruhe habe ich allerdings irgendwann den Absprung verpasst und nun zappele ich innerlich wie ein Fisch auf dem Trockenen, während der Zen-Meister mit einem langen Bambusstock zwischen uns Wochenend-Novizen auf und ab geht. Wer den Faden der Konzentration verloren habe, solle sich melden. Er bekomme dann vom Meister leichte Schläge auf die Schulter. Das solle helfen, sich wieder in sich selbst zu versenken. So hatte man es uns bei der Einführung zumindest erklärt. Und nun hocke ich also furchtbar unbequem, aber dafür total authentisch japanisch auf meinen Fersen und kann mich nicht dazu überwinden, dem Mönch ein Zeichen zu geben. Wer lässt sich schon gerne schlagen?
Dabei hatte dieses Wochenende so gut begonnen. Im voll klimatisierten Bus erreichte unsere kleine Ausländerschar am späten Hochsommernachmittag den Tempel, die Zikaden zirpten schon ihr Dämmerkonzert. Einmal im Jahr bot die Universität ihren ausländischen Studenten eine Minireise an. Im Jahr zuvor besuchten wir die Schneehütten im nördlichen Akita, leider hatte die Schneeschmelze schon eingesetzt und das Ganze wurde eine elendig matschige Angelegenheit. Diesmal sollte uns eine Übernachtung im Zen-Tempel die spirituelle Seite Japans näher bringen.
Junge Mönche begrüßten uns, sie führten uns durch die weite Anlage und erklärten uns in perfektem Englisch die tägliche Tempelroutine. Anschließend ging es zum Umziehen, alle Teilnehmer erhielten die Tracht der Novizen in Einheitsgrau. Nach einem sehr frühen vegetarischen Abendessen ging es natürlich auch besonders früh „ins Bett“, auf einem dünnen Futon in einem riesigen Schlafsaal. In der sommerlichen Hitze wälzten wir uns stumm für Stunden, Gespräche waren verboten. Um vier Uhr morgens kam der Weck-Mönch und führte uns in die große Halle zum Morgengebet. Dort standen wir nun gemeinsam mit den „echten“ Mönchen vor der großen Buddhafigur, murmelten gemeinsam kurze Gebete, knieten gemeinsam nieder und standen gemeinsam wieder auf. Darin waren wir alle richtig gut, das hatten wir am Abend zuvor unter Anleitung gründlich geübt. Einzige Beleuchtung waren die brennenden Öllampen, die tanzenden Lichter schienen den goldenen Buddha zum Leben zu erwecken. Die Luft war erfüllt vom Rauch der brennenden Sandelholzstäbchen und den tiefen melodischen Stimmen der Mönche. Kurz, die Stimmung war entrückend zauberhaft.
Nach einer halben Stunde Auf und Nieder wurde das Ganze dann aber doch ermüdend. Ich begann, das Ende herbeizusehnen. Vorfreude auf die anschließende Meditation stieg in mir auf: Endlich nur mal ruhig sitzen! Das wird schön, dachte ich mir, während eines weiteren Kniefalls, mir selbst Trost zusprechend. Tatsächlich hielt sich meine Freude über das Sitzen in typisch japanischer Manier knappe zehn Minuten. Dann wurde es unbequem, sehr unbequem. Letztendlich gab ich auf und begann, einfach auf das Ende zu warten. Beim anschließenden Frühstück erzählten alle von ihren befreienden Erfahrungen, ich blieb still. Was hatte ich mit meinen profanen Hungergefühlen schon zu bieten? Erst viele Jahre später lernte ich, dass das Loslassen an sich schon ein ziemlicher Fortschritt war. Ich hatte mein Leid angenommen und konnte es dadurch ein winziges Stück überwinden.
Viele
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