Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan
weiterhin schlechthin der Inbegriff religiös verbrämter japanischer Tapferkeit sind, sondern auch jeweils ein Denkmal für Pferde, Hunde und sogar Tauben.
Kommt seit 1945 auch keine Kaiser mehr zu Besuch, finden sich andere Berühmtheiten regelmäßig ein. Jedes Jahr im Frühjahr geben sich hier die Sumo-Stars die Ehre, im hinteren Eck des Schreingeländes befindet sich ein Dohyo, ein Kampfring. Eine weitere Attraktion sind die wiederholten Besuche der japanischen Premierminister. Sie kommen nicht unbedingt am 15. August, Japans Gedenktag zur Niederlage des Zweiten Weltkriegs, wohl aber in den Wochen davor oder danach. Außenpolitisch sorgt das regelmäßig für Unmut, doch der heimische rechte Wählerflügel muss befriedigt werden. So ganz hat sich der Shintoismus also noch nicht von seinen politischen Verwicklungen befreit.
Für das gewöhnliche Volk spielt der ideologisch überfrachtete Shintoismus kaum eine Rolle. Ihm gilt er eher als Leitfaden durch das Jahr und das war ehemals bäuerlich geprägt. So dreht sich im Shintoismus Vieles um Reis, dem zentralen Lebensmittel. Sogar der Tenno bestellt weiterhin mit seinen eigenen Händen ein kleines Reisfeld. Heilige Bezirke werden mit Seilen aus Reisstroh abgeriegelt, Streifen aus Reispapier markieren den Wohnbereich einer Gottheit. Reiswein wird dem Schrein gespendet, das Neujahr begrüßt man mit mehreren Schlucken Sake. Allein damit besiegelte man früher übrigens Eheschließungen. Das Neujahrsfest, das bedeutendste Fest des Jahres, steht ganz unter dem Stern der Naturreligion. Es beginnt alles mit dem Großreinemachen, das neue Jahr soll „rein“ begrüßt werden. Haus, Hof und Auto müssen blitzen vor Sauberkeit, alle Schulden sollten beglichen sein. Um Mitternacht geht es dann zum Schrein, um die Göttern das erste Mal im Jahr zu grüßen. Damit man auch gehört wird, darf die Schelle am Tor ordentlich geläutet werden. Doch zuerst wartet die Menge still auf das Läuten der Neujahrsglocken. Und die steht auf dem Gelände nebenan bei den Buddhisten. Wenn der Wind den ersten der 108 Glockentöne herüberträgt, kommt Bewegung in die Menge vor dem Schrein. Es ist Neujahr, die Götter müssen begrüßt werden! Vor dem Heimweg kauft man noch einen Glückspfeil, den schoss man früher über das Dach, um das Böse abzuwehren, heute kommt er in die gute Stube. Noch ein letzter Becher warmer Reiswein, um die Glieder von der Kälte zu befreien, bevor es ins Bett geht. Am Neujahrstag gibt es nur Speisen mit Glück bringender Symbolkraft, viel Sake und vielleicht ein weiterer Ausflug zum Schrein. In den besten Kleidern natürlich, wenn möglich im Kimono. Dort kauft sich jedes Familienmitglied ein Horoskop und bindet es gleich an den nächsten Baum, um mögliches Pech gar nicht erst mit nach Hause zu nehmen. Spätestens in zwei Wochen kommen viele nochmals wieder. Dann veranstaltet der Schrein ein großes Feuer, um die Neujahrsdekoration zu verbrennen. Auf den Speicher packen und im nächsten Jahr nochmals verwenden? Das wäre ja schon benutzt und nicht mehr rein, das kann man den Göttern wirklich nicht zumuten. Alle Jahre etwas Neues kostet zwar Geld, aber wenn es um die Götter geht, ist Geiz keineswegs geil. Die obersten Gottheiten in den Schreinen von Ise und Izumo bekommen alle 20 Jahre ein nagelneues Heim geboten. Ihr alter Schrein wird abgerissen und an neuer Stelle wieder errichtet. Und was die Götter bekommen, kann für den Menschen nicht schlecht sein. Japans ausufernde Baubranche mit ihrer allzeit bereiten Abreißbirne steht auf einmal in einem ganz anderen Licht da: Weg mit dem schmutzigen Altbau, her mit dem reinen Neubau! Japans Städteplaner, allen voran die von Kyoto, sind also zutiefst religiös! Die Handvoll Ausländer, die das immer noch nicht durchschaut hat und unermüdlich weiter protestiert, muss einfach noch mal zurück in den Zen-Tempel. Sozusagen zurück auf Null, beim nächsten Mal klappt es dann ganz bestimmt mit der Erleuchtung.
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1 Gaijin bedeutet „Person von außerhalb“, also schlichtweg „Ausländer“. Egal, wie man sich anpasst, ein Ausländer wird in Japan immer „außen vor“ bleiben. Als Gegenpol schließen sich Ausländer aller Nationen gerne zusammen und kultivieren ein intensives Gruppenleben.
2 Torii nennt man das Einganstor eines Schreingeländes. Gewöhnlich ist es aus Zedernholz gebaut und rot lakkiert. Materialien wie Porzellan oder Metall sind eher selten.
Zarte Kolosse
„Hier liegen die
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