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Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan

Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan

Titel: Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Liew
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Japanerinnen ihrer Religion, dem Shintoismus, zu verdanken. Ihm gelten generell alle Frauen als unrein. Und somit ist auch der sakrale Übungsplatz aus Sand, der wie andere Heiligtümer des Shintoismus durch ein Reisstrohseil begrenzt ist, für Frauen ein Tabu. Um den Kampfplatz rituell zu reinigen, werden einen Tag vor Eröffnung eines Turniers im Zentrum des Rings den Schutzgötter des Sumos von Shinto-Priestern und Vertretern der Sumo-Vereinigung Sake, Reis und Salz geopfert. Immerhin dürfen seit Ende des 19. Jahrhunderts Frauen unter den Zuschauern sein. Nur in Zeiten extremen Männermangels wie nach dem Zweiten Weltkrieg traten Sonderregeln in Kraft und erlaubten Frauen für kurze Zeit den Zutritt zum heiligen Ring. Generell gilt, dass man die Götter mit derart unreinen Wesen nicht unterhalten kann. Menschen hingegen schon: Im späten Mittelalter galten Sumo-Kämpfe zwischen zwei Frauen oder einer Frau und einem Mann als höchst erotisch und waren entsprechend beliebt. Bis ein Shogun den unmoralischen Straßenshows ein Ende bereitete, und fortan nur noch offiziell gemeldete Sumo-Ringer Kämpfe austragen durften. Besonders erfolgreiche Rikishi wurden von Fürsten und Adel gesponsert, nicht umsonst gilt die Edo-Zeit als das Goldene Zeitalter des Sumo.
    Golden sind die Zeiten der Sumo-Kämpfer heute immer noch, wenn sie zu den obersten Rängen der Liga gehören. Der Jahresverdienst eines Yokozuna, dem höchsten Rang in der Sumo-Welt, liegt bei 30 Millionen Yen (250 000 Euro), üppige Preisgelder kommen natürlich noch hinzu. Nicht zu vergessen die „kleinen“ Aufmerksamkeiten der Sponsoren und andere Einkommensquellen, wie zum Beispiel Werbung. Doch nur die oberen zwei Klassen der Profis erhalten ein Gehalt, alle anderen Ringer der unteren vier Klassen bekommen ein kleines Taschengeld. Die Rangordnung spiegelt sich auch in der Kleidung wieder: Die unteren beiden Klassen dürfen außer einem schlichten Baumwollkimono und Geta, Holzsandalen, auch an kältesten Wintertagen nichts weiter überziehen. Erst ab dem dritten Rang ist eine wärmende Jacke erlaubt. Im vierten Rang, dem Makushita, „unter dem Vorhang“, sind die Kämpfe am härtesten. Es gilt, in den fünften Rang und damit in die Profiliga mit allen Annehmlichkeiten wie einem properen Einkommen und seidenen Kimonos zu kommen. Wie bei der Bundesliga treffen hier gefallene Alt-Stars auf hungrige Aufsteiger, manche reden auch vom Zusammenstoß zwischen Himmel und Hölle.
    Der junge Mann, der mir nach einigem Hin und Her auf dem Sitzkissen im Empfangszimmer des Heyas gegenüberkniet, hat es noch nicht geschafft. Matsuhara Shinya ist 20 Jahre alt. Noch ist der Platz „hinter dem Vorhang“, wie die Topliga der beiden obersten Sumo-Klassen genannt wird, für ihn unerreichbar wie der Himmel über Tokyo.
    „Ich bin direkt nach der Mittelschule aus Saitama hier nach Tokyo zum Minato-Beya gekommen. Das war vor fünf Jahren“, erzählt der junge Mann. „Ich war schon drei Jahre Mitglied unserer Sumo-AG. Ein Talentscout hat mich gesehen und meinen Vater gefragt, ob ich gerne ein Profiringer werden möchte.“ Der Oyakata, der Trainer, besuchte daraufhin Shinyas Eltern und bat förmlich um die Erlaubnis, Shinya in seinen Haushalt aufnehmen zu dürfen. „Meine Eltern waren damals so aufgeregt, dass sie gar nicht viel gesagt haben“, erinnert sich Shinya. Ein Oyakata ist weit mehr als nur Trainer und Betreuer. Er gilt als Gottvater seiner Schützlinge, sein Wort ist fortan Gesetz. Und das in allen Bereichen. Hat der junge Rikishi erst einmal die Welt des Sumo durch die Tür seines Heya betreten, sind die Grenzen zwischen Privatleben und Training fließend, alles geschieht von nun an gemeinsam unter einem Dach. „Ich durfte gleich auf der zweiten Stufe einsteigen“, berichtet er stolz. „Ich war ja kein blutiger Anfänger mehr!“
    Mittlerweile ist Shinya schon auf der dritten Stufe der Sumo-Hierarchie angelangt und erhält ein monatliches Taschengeld von rund 450 Euro. „Anfangs war es hart ohne meine Familie. Ich musste so früh aufstehen und hatte kaum Zeit zum Verschnaufen.“ Shinya macht eine Pause und fügt dann ruhig hinzu: „Heute habe ich es leichter und muss nicht mehr als Erster den Übungsraum fegen. Das machen nun die Jüngeren und ich kann noch ein wenig länger schlafen.“ Endlich lächelt Shinya. Sein Oyakata hat uns allein gelassen und Shinya kann sich ein wenig entspannen. Auch seine Kumpel, die eben noch feixend im Türrahmen standen,

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