Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan
Befreiung von Hauhaltspflichten. Ihr Haar tragen sie alle ungeschnitten und sorgsam geölt im mittelalterlichen Samurai-Stil, der nur ihnen nach Abschaffung der Kriegerklasse gestattet ist. Beenden Shinya und seine Kollegen in ferner Zukunft ihr Dasein als professionelle Ringer, wird ihnen das Haar in einer emotional bewegenden Zeremonie abgeschnitten. Damit werden sie wieder zum Durchschnitt. Den erfolgreichen Ringern erwartet anschließend eine Karriere als Ausbilder eigener Kämpfer, er wird mit der Eröffnung eines eigenen Heya zum Oyakata. Die minder Erfolgreichen eröffnen gerne Restaurants oder arbeiten bei ehemaligen Kollegen. Sumo-Ringer gelten als gute Köche, besonders Chanko-Nabe, ein nahrhafter Eintopf aus Gemüse, Fleisch und Tofu ist eine Spezialität der kräftigen Männer.
Doch noch ist es nicht soweit, noch tragen Shinya und seine Kollegen ausschließlich traditionelle japanische Kleidung und Schuhwerk. Die höheren Ränge entwickeln dabei eine Vorliebe für zarte Pastelltöne. Überhaupt fällt mir eine ungewöhnliche Sanftheit bei den Kolossen auf. Sie sprechen alle sehr leise und sind sehr schüchtern. Nur die Stimme des Oyakata dröhnt nebenan durch den Übungsraum, sein Ton ist alles andere als sanft. Ich frage Shinya, ob der Oyakata ihnen denn auch Unterricht in Theorie gibt. Erstaunt blickt er mich an: „Wir schauen den Älteren beim Kampf zu und versuchen so, ihre Techniken zu verstehen. Im Training gibt der Oyakata uns natürlich Anweisungen, aber viel Worte werden nicht gemacht.“
Learning by doing, das ist eine Quintessenz sämtlicher traditioneller Sportarten in Japan. Im Judo fliegt der Anfänger so oft auf die Matte, bis er schneller als sein Gegner ist. Im Kendo, dem Kampf mit dem Bambusschwert, hagelt es solange Schläge auf Kopf und Oberkörper, bis der Unerfahrene die Bewegungen des Anderen korrekt interpretiert und blitzschnell parieren kann. Der Körper soll die Techniken durch eigene Erfahrung verinnerlichen, nur dann können Körper und Geist im Handeln eins werden. Das gilt nicht nur beim Sport, sondern auch für die schönen Künste wie Kalligrafie, Teezeremonie oder die Kochkunst. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Diese Art von Unterricht erschwert vor allem Ausländern den Aufstieg in die Profiliga sämtlicher japanischer Künste, einschließlich Sumo. Umso erstaunlicher ist der starke Anstieg von Nicht-Japanern beim Sumo. Gegenwärtig kämpfen über 30 Mongolen in Japan als Profiringer, in ihrer Heimat kämpften diese Männer im traditionell mongolischen Ringstil und wechselten erst in Japan zum Sumo, und das sehr oft schon im zarten Teenageralter. Mehr als ein Dutzend Osteuropäer beteiligen sich ebenfalls am Gerangel um die Spitze. So wurde der Bulgare Baruto 2009 in den zweihöchsten Rang eines Ozeki erhoben. Der sehr große und immer lächelnde Bulgare ist wegen seiner zurückhaltenden freundlichen Art immens populär. Auch die Spitze wird von Ausländern beherrscht. Gegenwärtig trägt einzig der Mongole Hakuh ō den höchsten Titel eines Yokozuna. Bis zum Februar 2010 gab es noch zwei Yokozuna. Hakuh ō s Landsmann Asash ō ry ū erhielt schon 2003 den begehrtesten Titel der Sumo-Welt. Beide Kämpfer stammen aus einer Familie erfolgreicher mongolischer Ringer.
Hakuh ō kam im Jahr 2000 als 15-Jähriger nach Japan und ist heute mit einer Japanerin verheiratet. Obwohl er nicht die japanische Staatsbürgerschaft angenommen hat, akzeptieren die Japaner ihn als einen würdigen Yokozuna. Das konnte man von seinem Kollegen Asash ō ry ū leider nicht behaupten. Der hatte zwar einen ähnlichen Werdegang hinter sich, machte aber immer wieder durch größere und kleinere Skandale auf sich aufmerksam. Unschuldige Dinge wie das Hochreißen der Arme in Siegermanier nach einem gewonnenen Match gehörten ebenso dazu wie fruchtloses Diskutieren mit den Kampfrichtern. Schwerer wogen hingegen die Absage eines Turniers wegen Verletzung, um dann klammheimlich in seiner Heimat Mongolei an einem Benefiz-Fußballspiel teilnehmen zu können. Als Yokozuna zog er einen Gegner im Ring an den Haaren und wurde auf der Stelle disqualifiziert, ein bislang einzigartiger Vorfall. Anfang 2010 brachte Asash ō ryū dann das Fass zum Überlaufen, als er in einer Bar in eine Schlägerei verwickelt wurde und dem Kellner die Nase brach. Ein Eklat mit der Sumo-Vereinigung wurde nur durch seinen freiwilligen Rücktritt verhindert. Eine Erlösung für den jungen Mongolen, der so ungern Kimono
Weitere Kostenlose Bücher