Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan
gibt es jedoch nur auf dem Land, für den Wochenendtrip nach Chinatown wird es wohl ein gewöhnliches Businesshotel werden.
„Ich weiß was Besseres“, meint Emi munter. „Sucht euch doch für die Nacht ein Love Hotel. Die stehen direkt am Bahnhof, du brauchst nichts reservieren und interessant wird das allemal!“ Ich schaue sie etwas gekränkt an. Mit meinem eigenen Mann steige ich doch nicht im Stundenhotel ab! „Komm schon, das ist nichts Besonderes. Das machen Steve und ich auch manchmal. Du wirst dich wundern, wie viele Leute kurz vor Mitternacht in der Lobby sitzen und auf ein freies Zimmer für die Nacht warten.“
Der entfesselte Baustil der Love Hotels mit Freiheitsstatuen oder einem Segelschiff auf dem Dach sind in Japan fester Bestandteil jeder architektonischen Städtelandschaft. Geradezu marktschreierisch locken Stundenhotels mit zweideutigen Namen wie Hotel Seeds, Hotel Carrot oder gar Santa's Hotel die Liebeshungrigen für ein gewöhnlich zweistündiges Schäferstündchen. Verlängerung im 30-Minutentakt ist möglich, ein Aufenthalt mit besonderem Nachtpreis beginnt meist gegen 23 Uhr und endet erst am späten Vormittag. Das wird gerne von Reisenden mit knappem Budget und Abenteuerlust genutzt.
Beim Abschied hat Emi mich so weit, und ich verspreche ihr, über meinen puritanischen Schatten zu springen und ganz praktisch diesen Teil des japanischen Alltags zu erforschen.
Unnötig zu erwähnen, dass mein Mann Emis Vorschlag ausgesprochen interessant findet. Japanische Stundenhotels sind keine verschwiegenen Seitensprungzimmer, sie sind fantastisch ausgestattete Spielplätze für Erwachsene. Tatsächlich muss man blind sein, um die herausgeputzten Hotels in Bahnhofsnähe zu übersehen. Im grellen Tageslicht verlieren sie etwas an Reiz, doch am Abend sind die verdeckten Eingänge hübsch erleuchtet, große Tafeln informieren über Zimmerpreise. Emi hat uns angewiesen, in aller Ruhe von Hotellobby zu Hotellobby zu laufen und das Angebot genau zu inspizieren. Das ist mir anfangs etwas unangenehm, doch bald merke ich, dass auch andere Paare von einem Love Hotel zum nächsten spazieren, um kritisch Preise und Ausstattung zu vergleichen. Wir landen schließlich in einem Hotel, das sich auf Zimmer im traditionellen Stil mit Tatami und Wasserfall spezialisiert hat, wie sollte es auch anders sein!
Um es gleich vorweg zu nehmen: In einem japanischen Love Hotel gibt es so viel zu entdecken, dass man kaum zu dem eigentlichen Zweck des Besuchs kommt. Alles ist hier eine Nummer größer als gewohnt. Das Bett ist breiter und die Decke manchmal noch verspiegelt. Bunte Lichter und leise Hintergrundmusik sorgen auch mitten am Tag für Abendstimmung, ein riesiger Fernseher bietet Gott weiß was für Filme und im Kleiderschrank hängen Schwesternuniform und Schulmädchenkleidung. Und dann erst das Badezimmer! Ein Whirlpool mit Lichteffekten ist beinahe schon Standard, gleich daneben die großzügige Duschkabine mit Haltegriffen. Erlesene Seifen und Shampoos, Cremes und Gels reihen sich entlang dem Waschbecken, flauschige Handtücher und Bademäntel warten angewärmt auf nackte Körper. Über der tiefen Badewanne klebt der Hinweis, beim Wasserspiegel bitte die Körpergröße des Partners zu beachten. Neugierig öffne ich Schubladen und hoffe auf weitere Überraschungen.
Im geschäftstüchtigen Osaka müssen die Liebenden sich besonders ranhalten, denn schon nach 60 Minuten geht es dort in die teure Verlängerung. Für den Großteil der Kunden scheint dies kein Problem. Sie sind miteinander verheiratet und möchten nur für ein Weilchen der Enge der eigenen Wohnung entfliehen. Junge Paare leben auch nach der Hochzeit oft noch bei den Eltern. Die Häuser sind extrem hellhörig und oftmals will nicht die rechte Stimmung aufkommen, wenn nebenan der Schwiegervater mit der Zeitung raschelt. Haben die Eheleute dann selbst Kinder und einen eigenen Haushalt, schlafen sie meist alle zusammen im Wohnzimmer. Den Luxus eines eigenen Schlafzimmers kann sich eine Durchschnittsfamilie in den japanischen Großstädten nicht leisten, Wohnraum ist einfach zu teuer. Wie der Besuch eines guten Restaurants gehört daher der gelegentliche Abstecher in ein Love Hotel für viele Paare zu einem gelungenen Wochenende. Beides befriedigt Körper und Seele, bevor am Montagmorgen wieder der Alltag beginnt und man kaum dazu kommt, ein Wort miteinander zu wechseln. Love Hotel und heimischer Futon sind wie das Yin und Yang einer guten japanischen
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