Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan
damit Gelegenheitsprostitution von Teenagern. Enjo Kosai breitete sich mit dem Platzen der Wirtschaftsblase Ende der Achtzigerjahre besonders rasch in den Großstädten aus. Trotz finanzieller Einbußen im Elternhaus kamen einige Schülerinnen schnell dahinter, wie sie ihren teuren Hobbys, sprich Einkaufstouren, weiterhin frönen können. Wenn am Nachmittag eigentlich Klavierunterricht und Nachhilfe anstehen, gehen sie lieber mit einem zahlenden Herrn in den besten Jahren auf eine schnelle Nummer ins Love Hotel. Seitdem befriedigt eine relativ hohe Zahl japanischer Teenager, die Dunkelziffer liegt bei sage und schreibe zehn Prozent, genau die sexuellen Fantasien, die Schulmädchen in Japan schon lange zum Objekt männlicher Begierden machen. Das Gesetz muss dabei niemand wirklich fürchten, denn trotz der verschärften Gesetzeslage gibt es noch genügend Schlupflöcher. Die Kontakte entstehen übers Handy oder öffentliche Telefonzellen; sogenannte Telephone Clubs und einschlägige Internetseiten bringen Kunde und Mädchen zusammen. Seit 2003 ist Minderjährigen der Zugang zu den Vermittlungsseiten verwehrt, doch in der Praxis schert das kaum jemanden. Symbol des geldgierigen und verruchten Teenagers in den japanischen Medien ist das sogenannte Kogyaru. Kogyaru bedeutet übersetzt kleines Mädchen, doch gemeint ist der Teenager mit Lolita-Touch. Die Kogyaru sind ein Trend der Neunzigerjahre, der sich in das neue Millennium herübergerettet hat. Die Mädchen mit den Plateau-Absätzen in schwindelerregender Höhe, Minirock, blondierten Haaren, mit sehr dunklem Teint und extrem dick aufgetragenem Make-up zeichnet eine besondere Vorliebe für Designerklamotten aus. Natürlich ist nicht jede braungebrannte und blondierte Japanerin unter 20 eine Gelegenheitsprostituierte, doch das Image haftet ihnen unwiderruflich an. Die Öffentlichkeit sieht in ihnen die Wurzel allen Übels und übersieht dabei, dass mittlerweile jede Schule Mädchen mit einschlägigen Erfahrungen aufweist. Jugendliche anderer Länder prostituieren sich, weil sie Not leiden, in Japan dient Enjo Kosai ausschließlich zum Aufbessern des Taschengelds. „Die Rechnung meines Handys war so hoch“, „Die anderen machen das doch auch“, sind die gängigen Erklärungen, wenn man die Mädchen nach ihren Gründen fragt. Den Kunden kostet ein Besuch im Love Hotel mit einer Schülerin zwischen 200 und 350 Euro, zuzüglich der Hotelrechnung. Das ist leicht verdientes Geld für die Mädchen, übliche Schülerjobs können da nicht mithalten. Gefahren befürchten die wenigsten.
„Klar weiß ich, dass nicht alle Männer nur nett sind“, meint die 15-jährige Mariko. „Aber das sind dann Yakuza, und mit denen gehe ich nicht mit. Ich gehe mit den Männern auch immer zuerst etwas essen und wir unterhalten uns. Wenn der Typ mir nicht gefällt oder irgendwie komisch ist, tue ich einfach so, als ob ich zur Toilette gehe und verschwinde dann klammheimlich!“, lacht sie und schaut ganz unschuldig.
Tatsächlich ist wenig über Verbindungen in die japanische Unterwelt bekannt. Die Mädchen arbeiten fast immer alleine, sind nicht im Rotlichtbezirk involviert, kein Zuhälter steht hinter ihnen. Die Polizei greift selten ein, um Razzien im Love Hotel muss sich niemand sorgen. Umgekehrt taucht immer mal wieder ein Kunde bei der Polizei auf und klagt, wie er von einem Mädchen betrogen und ausgeplündert worden sei. So richtig ernst nimmt hier niemand die Jugendprostitution. In Akademikerkreisen wird Enjo Kosai teilweise sogar als Einführungsritual in die kapitalistische Erwachsenenwelt Japans gewertet. Da braucht man sich also nicht zu wundern, wenn das Geschäft unbehelligt boomt und das natürlich auch dank der Diskretion der Love-Hotel-Betreiber. Ob Koyama Tatsuo, der Gründer des ersten Stundenhotels Japans, mit diesen Auswüchsen rechnete, als er 1954 sein kleines Hotel in Tokyos ehemaligen Arbeiterviertel Shinjuku in ein Stundenhotel umwandelte? Er stellte damals fest, dass seine Gäste zwar für den ganzen Tag bezahlten, aber meist schon nach ein oder zwei Stunden wieder gingen. 1966 eröffnete er sein erstes richtiges Stundenhotel, gegenwärtig besitzt Koyama landesweit über einhundert Häuser. Der Name Love Hotel kam übrigens erst später auf. 1967 eröffnete das „Hotel Love“ in Osaka seine Pforten. Auf dem Dach kreiste der Name und konnte so auch als „Love Hotel“ gelesen werden. Das verlieh später der gesamten Branche ihren Namen, auch wenn die
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