Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan
kümmert sich nicht sonderlich um diesen Tag. Es sei denn, es leben Enkelkinder mit im Haus. Die bekommen zum Abschluss des Tages noch ein kleines Geschenk und dann herrscht wieder Alltagsstimmung. War da noch was mit Jesu Geburt, Familie und Kirchgang? Eigentlich nicht, abgesehen von der kleinen Schar japanischer Christen. Alle anderen amüsieren sich für ein paar Stunden und ganz wie bei Aschenputtel ist Schlag Mitternacht alles Weihnachtliche vorbei.
Über Nacht entledigt sich ganz Japan von glitzernden Girlanden, goldenen Glocken und bunten Lichterketten. Am 25. Dezember liegen die Passagen nur kurz schmucklos da, um wenig später von fleißigen Händen mit japanischem Neujahrschmuck dekoriert zu werden. Wo eben noch Santas Hütte samt Zwergenhelfer stand, rahmen nun sogenannte Kadomatsu, Gestecke aus Bambus, Stroh und Pinienzweigen, die Eingänge zu Geschäften und Bürogebäuden ein. Nun heißt es, noch mal so richtig ranklotzen, denn in den verbleibenden Tagen des alten Jahres müssen Projekte abgeschlossen und Bilanzen erstellt werden. Daheim wie auch in der Firma bereitet man sich mit einem Großputz auf das wichtigste Fest des Jahres vor: O-shogatsu, das Neujahrsfest, ist nah.
Bevor die Unternehmen gewöhnlich am 29. Dezember ihren Angestellten eine Woche Urlaub gönnen, muss das noch ordentlich gefeiert werden. Bonenkai, die Jahres-Vergessensfeier der Unternehmen, ähnlich unserer Weihnachtsfeier, ist neben dem Picknick unter blühenden Bäumen im Frühling das wohl wichtigste soziale Event des Jahres, und niemand kann sich dem entziehen. Es ist die letzte große Gelegenheit im alten Jahr, Unstimmigkeiten unter Kollegen oder mit dem Chef mit Hilfe von ganz viel Alkohol wegzuspülen und den Blick frei und unbelastet aufs neue Jahr zu richten. Geht man mit den Kollegen rund ums Jahr immer wieder einen trinken, ist Bonenkai gewöhnlich eine Klasse exklusiver und feierlicher, zumindest am Anfang. Sind gegen Ende sämtliche Hemmungen gefallen, binden sich die rotgesichtigen Männer in Samuraimanier ihre Krawatten um den Kopf und sprechen auf einmal fließend Englisch. Bis zum ersten Arbeitstag im neuen Jahr sind dann glücklicherweise sämtliche Fauxpas des Abends schon wieder vergessen.
Während der ersten Ferientage laufen daheim die Vorbereitungen für das Fest der Feste auf Hochtouren. Es gilt, die Neujahrspost fertig zu machen; sämtliche Verwandte und noch so flüchtige Bekannte sollen zum 1. Januar einen Gruß erhalten. Populär sind Karten mit einem Familienfoto oder der Bekanntgabe von Hochzeit oder neuem Erdenbürger. Feste Zierde jeder Karte ist das Tierzeichen des kommenden Jahres 1 , anders als im chinesischen Kulturkreis wird den Zeichen selbst allerdings keine größere Beachtung mehr geschenkt. Auch wir haben die Grußkarten immer drucken lassen, eigenes Design ist toll, doch die Zeitersparnis war noch besser. Außerdem fungieren die Gekauften gleichzeitig als Los der großen Neujahrslotterie, und das ist natürlich immer eine feine Sache. Um das persönliche Grußwort in bester Pinselschrift brachte mich das allerdings auch nicht, so verlangt es die japanische Etikette schließlich schon von den Fünfjährigen. Sogar die schreiben schon allen Kumpels ihrer Kindergartengruppe. Ist der gleiche Spruch immer wieder in Schönschrift vermerkt, kommen zum Schluss ganz klein in roter Tinte gleich neben die Briefmarke die Schriftzeichen für „Neujahrpost“ und dann geht der Stapel ab in den besonderen Neujahrspost-Briefkasten. Das Prozedere sollte ein paar Tage vor Silvester geschehen, doch für die Nachzügler ist auch gesorgt: Bis zum Mittag vom Silvestertag stehen neben den Briefkästen der Hauptpostämter Helfer bereit, die dem Fahrer durchs Autofenster die Neujahrspost abnehmen. Das ist meist ein ordentlicher Packen, hundert Karten pro Familie sind nicht ungewöhnlich. Einzig Familien, die während des vergangenen Jahres einen Trauerfall zu beklagen hatten, klinken sich aus dem Spiel mit einer rechtzeitigen Mitteilung aus, um keine fröhlichen Grüße schreiben und entgegennehmen zu müssen. Für Personen, denen man verpflichtet ist, wie etwa dem Chef oder einem behandelnden Arzt, genügt ein Kärtchen natürlich nicht. Sie bekommen ein handfestes Geschenk wie etwa delikates Rindfleisch oder ein Sortiment Handtücher. Jeder Supermarkt oder jedes Kaufhaus übernimmt den Versand. Es genügt das Ankreuzen im Sonderkatalog und das Ausfüllen der Paketscheine und der Handel übernimmt den Rest.
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