Schattenland - Begegnung mit Victor (German Edition)
schmerzerfüllten Augen sah ich ihn an, in der Hoffnung, er könnte mir eine plausible Erklärung für all das liefern.
„Was soll ich sagen, Mia? Du wirst es mir eh nicht glauben. Aber ich werde dennoch versuchen, dir zu erklären, wie es dazu kommen konnte.
Sabine habe ich vor ein paar Jahren kennen gelernt. Ich hatte mich damals bewusst nach einer Frau umgesehen, die sexuell ganz normal orientiert war, da ich die Jahre zuvor immer exzessiver wurde, in dem was ich sexuell leben wollte, in dem, was mir sexuell noch genügen konnte. Ich sah in den Spiegel und hatte plötzlich Angst vor diesem sexuellen Ich, das bereit war, Grenzen zu überschreiten, die ich niemals zuvor für überschreitbar gehalten hätte. Ich hatte Angst vor meinem eigenen „Ich“. Sie gab mir ein Stück Normalität zurück. Das brauchte ich zu diesem Zeitpunkt. Damals gab es Momente, in denen ich mich vor mir selbst fürchtete. Ich wollte zu diesem Zeitpunkt zurück in ein normales Leben. Mit ihr konnte ich mir das vorstellen. Familie, Kinder, ein bürgerliches Leben. Es dauerte aber nicht allzu lang, bis ich merkte, dass diese Art zu leben und diese Sexualität mir nicht genügen würden. Ich Idiot hätte das allerdings schon viel früher wissen müssen, dann hätte ich uns allen sehr viel Leid erspart. Mein liebe Mia, jetzt steh ich hier, vor der Frau, die mir sexuell das gibt, was ich brauche, wie die Luft zum Atmen. Und nicht nur sexuell, sondern auch Seele und Geist bereichert. Ich habe dich zutiefst verletzt. Und dennoch weiß ich nicht, wie ich aus dieser Situation entfliehen kann, ohne nicht mindestens einen Menschen sehr zu verletzen. Meine Frau hat für mich alles aufgegeben. Ihre Freunde, ihren Job. Sie war für mich in einer Zeit da, als es mir sehr schlecht ging. Ich hatte mich finanziell verspekuliert und körperlich so verausgabt, dass ich monatelang in einer Klinik war. Sie war jeden Tag und jede Stunde für mich da. Hat mich unterstützt und mir Kraft gegeben und das aus reiner Liebe. Wie soll ich bloß eine Lösung finden? Das, was ich dir gerade erzählt habe, kannst du mir jetzt glauben oder nicht.“
Wie gern würde ich ihm das glauben. Schon allein deswegen, um meinen Schmerz zu lindern. Gab es doch noch eine Chance für uns beide? Es wäre zu schön, um wahr zu sein.
„Victor, ich weiß momentan nicht, was ich denken soll. Du hast mir so furchtbar wehgetan. Ich denke, es ist gut, wenn du jetzt gehst. Ich muss darüber nachdenken, was gerade passiert ist. Das war sehr viel für den Moment. Und mehr als ich ertragen kann.“
Victor sah mir tief in die Augen und verließ dann wortlos das Zimmer. Kurz darauf hörte ich ihn die Haustür zuschlagen. Jetzt war ich allein, mutterseelenallein in meinem tiefen Schmerz. Es kam mir so vor, als hätte ich stundenlang nur geheult. Irgendwann hatte ich keine Tränen mehr übrig. Das war der Moment, in dem ich endlich beginnen konnte über das, was soeben passiert war, nachzudenken. Die ganze Nacht dachte ich nach und kam trotzdem zu keinem Ergebnis. Als ich mein Herz befragte, schrie es lautlos aber für mich unüberhörbar: Victor, ich liebe dich und verzeihe dir.
Annährung
Obwohl ich meine Entscheidung, ihm zu verzeihen, längst getroffen hatte, wartete ich auf eine erste Reaktion von ihm. Wie würde er sich entscheiden? Würde er die richtigen Konsequenzen ziehen? Entschied er sich für ein bürgerliches Leben ohne sexuelle Erfüllung mit einer Frau, die ihn nur deshalb so sehr liebte, da sie nichts von seinem „Doppelleben“ wusste? Oder für ein Leben jenseits jeglicher sexueller Konventionen mit mir, einer Frau, die ihn trotz seines „Doppellebens“ immer noch liebte? Er ließ sich verdammt lang Zeit, bis er sich wieder bei mir meldete.
„Liebe Mia, die letzten Wochen waren die schwierigsten meines Lebens. Mir ist bewusst geworden, wie dumm es von mir war, zu denken, alles würde sich irgendwann zum Guten für uns alle wenden, einfach so. Das wird es aber nicht ohne mein zutun. Ich bin momentan sehr verwirrt. Dennoch habe ich eine Entscheidung getroffen. Das möchte ich dir aber gern persönlich sagen. Wann können wir uns sehen? Victor.“
Mein Herz klopfte wie verrückt. Er hatte eine Entscheidung getroffen. Eine Entscheidung, die unser aller Leben grundlegend verändern würde. Hatte er sich für uns entschieden? Würde er das Risiko des Unkonventionellen, Außergewöhnlichen eingehen? Oder war sein Bedürfnis nach
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