Schattenland - Begegnung mit Victor (German Edition)
auf die Stirn küsste.
Besuch
Wochenlang hörte ich nun schon nichts mehr von ihm. Nichts bis auf eine kurze SMS, unmittelbar nach unserem gemeinsamen Essen.
„Fantastischer Abend! Ich melde mich!“
Wieso verhielt er sich so? Nächtelang lag ich wach und zerbrach mir den Kopf darüber. Warum gab er mir immer wieder diese extreme Nähe, um sich kurz darauf wieder so weit von mir zu entfernen? Wieso fuhr er Achterbahn mit meinen Gefühlen? Irgendetwas war hier faul. Ich musste mir Klarheit verschaffen darüber, was hier so verdammt schief lief. Mir war klar, wo ich die Antwort finden konnte.
Ich wusste, dass Victor unter der Woche geschäftlich in ganz Deutschland unterwegs war. Deshalb wählte ich einen Mittwoch, um Victors Geheimnis, so es denn eines gab, auf die Spur zu kommen. Während der Autofahrt spielte ich alle denkbaren Szenarien nochmals durch. Würde ich mich emotional so gut im Griff haben, um mit absolut jeder Situation souverän umgehen zu können? Ich wusste es nicht, aber der Augenblick würde es ohnehin zeigen. Ich musste dieses Risiko eingehen, um endlich mehr über ihn und sein Leben zu erfahren, das er mir vorenthielt, ob nun bewusst oder unbewusst.
Es dämmerte bereits, als ich endlich am Ziel angekommen war. Es stand, wie vermutet, nur ein Auto in der Auffahrt. Verdammt, Mia, nimm jetzt bitte all deinen Mut zusammen und tu genau das, was du immer und immer wieder im Geiste durchgespielt hast. Mein Herz sprang mir fast aus der Brust. Mein ganzer Körper fühlte sich wie schweißgebadet an. Am liebsten würde ich auf dem Absatz kehrt machen. Nein, ich würde jetzt auf keinen Fall ohne Antworten nach Hause fahren. Also parkte ich meinen Wagen in der Auffahrt und läutete an der großen braunen Holztür. Als die Tür aufging, und ich mein Gegenüber sehen konnte, dachte ich augenblicklich, ich müsste ihn Ohnmacht fallen. In einer einzigen Sekunde brach für mich eine ganze Welt zusammen.
„Guten Tag! Kann ich Ihnen weiterhelfen? Kennen wir uns?“
„Hallo! Nein, Sie kennen mich nicht. Ich bin Martina, eine ehemalige Studienkollegin von Victor. Ich war geschäftlich in der Gegend und wollte einfach spontan bei ihm vorbeischauen. Wir haben uns ja nun schon ewig nicht mehr gesehen.“
„Oh, hallo Martina. Freut mich sehr, Sie kennen zu lernen. Es tut mir sehr leid, aber mein Mann ist erst am Wochenende wieder zuhause. Aber kommen Sie doch rein. Ich freu mich außerordentlich, eine ehemalige Kommilitonin von ihm kennen zu lernen. Ich heiße übrigens Sabine.“
Ihr Mann? Was in dieser Sekunde mit mir passierte, konnte ich kaum beschreiben. Meine kleine, heile Welt stürzte wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Ich hätte schreien können vor Wut, Ärger und Enttäuschung. Mein Herz fühlte sich an, als wollte es zerspringen, als läge ein Stein darauf, der mir die Luft zum Atmen nahm. Ich hasste ihn so sehr. Wie konnte er mir das nur antun?
Ok, reiß dich verdammt nochmal zusammen, Mia. Jetzt musstest du dieses Spiel zu Ende spielen. Nachdem ich den allerersten Schock überwunden hatte, sah ich mir seine Frau etwas genauer an. Sie hatte blondes, langes Haar, das sie fast aristokratisch streng zu einem Zopf gebunden hatte. Sie war zwar auf den zweiten Blick durchaus hübsch, aber doch eher unscheinbar, kaum geschminkt, relativ klein und zierlich. Ich kannte Victors Beuteschema aber nur zu gut. Blond, groß, ausladendes Becken und Brüste mit mindestens C-Körbchen.
Wir gingen einen breiten Gang entlang und betraten durch eine weiße, wunderschön restaurierte Doppelflügeltür den großen Wohnbereich. Er war in Wirklichkeit genauso schön wie auf den Bildern. Nur leider war der Anlass, zu dem ich den Raum betrat, ein anderer, als ich mir gewünscht hätte.
„Was darf ich Ihnen denn anbieten?“
„Sehr gern ein Glas Rotwein, falls es keine zu großen Umstände macht.“
„Nein, das macht keine Umstände. Aber bitte entschuldigen Sie mich für ein paar Minuten, der richtige Wein möchte erst noch im Keller gefunden werden.“
Gut, ich hatte jetzt ein paar Minuten Zeit. Ich stand auf und lief in Richtung Kamin, da ich auf dem Kaminsims einige gerahmte Bilder entdecken konnte. Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen. Da stand tatsächlich ein Foto, das Victor und seine Frau in einem Hochzeitskleid vor einer dunkelbraunen vertäfelten Wand zeigte. Genau dieses Foto hatte Victor mir geschickt, allerdings hatte er
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