Schattenlord 12 – Lied der sieben Winde
ihm den Rücken hinunter.
»Was ist denn los?«, erklang Milts drängende Stimme. »Finn, bist du noch da?«
»Bin noch da«, antwortete er. »Ich glaube, hier duellieren sich gerade zwei Seelen.« Von seiner Vermutung sagte er nichts. Sie hatten Probleme genug.
»Zwei? Etwa Andreas?«
»Nein. Sandra.«
»Verdammt!«
Die beiden gefangenen Seelen schwebten voreinander auf und ab, es war kein Laut mehr zu hören. Ihre Auseinandersetzung erfolgte außerhalb der menschlichen Wahrnehmung.
Und dann ... verschwanden beide.
»Puh!«, stieß Finn aus und lief los. Nach wenigen Schritten hatte er Milts Verschlag erspäht und winkte ihm zwischen den Latten hindurch.
»Gleich bist du frei, Kumpel.«
»Beeil dich!«
»Kannst du denn überhaupt gehen?«
»Ohne Ketten werde ich geradezu beflügelt sein.«
»Klingt so, als wärst du okay.« Finn stocherte in dem Schloss und lauschte auf das erlösende Klicken. Hastig schob er den Riegel zurück, riss die Lattentür auf und eilte zu dem Bahamaer, um ihn von den Ketten zu befreien.
Er löste gerade die letzte Kette, als sich Milts Augen weiteten ...
20.
Löwen und Hyänen
Die beiden Schiffe umkreisten einander. Der Fliegende Holländer hatte mehrmals versucht, das Ostgebirge anzusteuern, doch Arun hatte ihm jedes Mal den Weg abgeschnitten. Aufgrund seiner Schnelligkeit konnte ihm das gelingen; vor allem beobachtete er ständig den Kurs der schwarzen Galeone und berechnete ihn voraus. Arun und seine Leute besaßen zwar kein ausführliches Kartenmaterial, weil es das von Innistìr natürlich nicht gab, doch in dieser Gegend waren sie schon gekreuzt. Der Erste Maat besaß ein ausgezeichnetes Gedächtnis und grafisches Vorstellungsvermögen, weshalb er damit beauftragt war, sämtliche Wege genau aufzuzeichnen und nach und nach ein Bild zu einer Karte zusammenzusetzen, deren Maßstab sich aus den Zeiten errechnete, die sie für eine bestimmte Strecke benötigten.
»Das hat er bestimmt nicht gemacht«, murmelte Arun vor sich hin. »Schlechter Kapitän.« Sie hatten neben dem Steuerruder einen Kartentisch aufgebaut. Der Erste Maat nahm ständig Kurskorrekturen vor, und der Kapitän studierte die Karte nach seinen Beobachtungen. So begriff er schlagartig, was Fokke vorhatte.
»Ich glaube nicht, dass er sich irgendwo darin verstecken will«, überlegte er laut. »Der brennt genauso wie ich auf die Schlacht. Nachdem wir ihn in seinem Heimathafen aufgestöbert haben, hat er das Schiff bis unter die Schoten mit Kanonenkugeln vollgestopft und mit allem aufgerüstet, was er finden konnte.«
»Nur Kanonen, Käpt'n«, erwiderte der Steuermann. »Die weitere Bewaffnung sind die Seelen. Sonst braucht er nix.«
»Umso besser. Aber was er nun tatsächlich dort zu suchen hat, fragt ihr? Ich sag's euch. Er will seine Gefangenen absetzen, um sie in der Hinterhand zu behalten und nicht zu riskieren, dass ich sie versehentlich abknalle.«
»Ich hätte angenommen, dass er Laura an den Bugspriet und die anderen beiden hoch an die Masten binden lässt und uns damit erpresst«, wandte Nidi ein. »Dann wären wir zum Rückzug gezwungen.«
»Das wäre in der Menschenwelt auch der Fall«, stimmte der Korsar zu. »Aber Fokke hat keinen Heimathafen, kein Ziel und nichts, was er schützen muss oder wohin er sich zurückziehen kann. Wir folgen ihm, wenn es sein muss, jahrhundertelang. Wir hindern ihn daran, wieder zur Insel zurückzukehren, wir vereiteln seine Seelensammelei und sorgen dafür, dass er nicht die Mannschaft auswechseln oder Lebensmittel aufnehmen kann. Er ist in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt, wir aber nicht. Wir haben überall im Reich Unterstützung, kein Versorgungsproblem und können in bequemen Schichten arbeiten. Wir verfügen über geflügelte Späher, die ihn beobachten, wenn wir einmal aufgehalten werden. Somit bleiben wir an ihm dran wie eine Zecke am Wirt, bis er die Geduld verliert und sich stellt. Also tut er es sofort.«
»Leuchtet ein«, gab Nidi zu. »Er will dich loswerden. Danach sammelt er unsere Freunde wieder ein, an denen er anscheinend inzwischen Gefallen gefunden hat.«
»Wer sagt uns, dass sie noch leben?«, wollte der Steuermann wissen.
»Ich«, antwortete Arun.
»Aye-aye, Käpt'n.«
»Ich glaube das auch«, sagte Nidi. »Die Zeit ist zu kurz. Falls Laura ihn herausgefordert hat, woran ich nicht zweifle, kann das Duell noch nicht vorüber sein. Um sein Geheimnis rauszukriegen, braucht es einiges an Zeit. Und Laura wird vor allem das Spiel
Weitere Kostenlose Bücher