Schattenlord 12 – Lied der sieben Winde
Rettung unternehmen, bevor er den Kampf eröffnete. Da war es in jedem Fall eine gewaltige Zeitersparnis, wenn die Gefangenen nicht erst gesucht werden mussten und es dadurch möglicherweise zu Kämpfen kam, sondern wenn sie von sich aus entgegenkamen, sobald die Befreier eintrafen. In spätestens zwei Minuten wären sie von Bord, bevor überhaupt jemand reagieren könnte – abgesehen vielleicht von denjenigen, die den Befreiern am nächsten waren.
Aber Finn war gar nicht mal so überzeugt, ob sie überhaupt an der Flucht gehindert würden – abgesehen von Kramp und Fokke. Der rotblonde Mann hatte Lauras Appell an die Mannschaft gehört und war sicher, dass er nicht ungehört verhallt war. Tapferes Mädel, dachte er und war stolz auf sie.
Leider hatte sie das Duell wohl verloren, da Fokke immer noch putzmunter herumlief und Befehle bellte. Aber gut, das war nur ein Rückschlag, beim nächsten Mal klappte es.
Sie waren nun auf guter Fahrt unterwegs, die Wanten und die Planken knirschten und ächzten ordentlich, und der Boden bebte leicht. Vor allem musste es schnelle Manöver geben, denn der Rumpf schwankte stark wie auf stürmischer See, und unter Deck rutschte alles, was nicht fest verzurrt war, von einer Seite zur anderen.
Wenn jetzt nicht die richtige Zeit gekommen war! Finn fummelte mit dem Marlspieker an der linken Armmanschette und grinste erleichtert, als er ein scharfes Klicken hörte. Jahrzehntelange Erfahrung als Nordire und Globetrotter bewährte sich jetzt.
Scheppernd fiel die Kette zu Boden, und Finn rieb sich das wunde Handgelenk. Dann öffnete er nach und nach die restlichen drei Manschetten auf die gleiche Weise. Er jubelte innerlich auf, als er kein Gewicht mehr spürte. Ketten raubten ihm die Kraft; er konnte es nicht ertragen, wenn ihn etwas festhielt. Behutsam dehnte und streckte er nacheinander Arme und Beine, in denen es ordentlich kribbelte, nachdem die Blutzirkulation wieder ungehindert floss. Langsam stand er auf und krümmte sich leicht.
Zwischen seinen Beinen pochte und klopfte es heftig. So schnell würde er nicht wieder an Sex denken können. Wenigstens ging die Schwellung allmählich zurück, und er konnte darauf hoffen, dass keine Folgeschäden von Fokkes Tritt blieben. Das wäre doch zu schade gewesen für die Damenwelt.
Noch ein wenig steif, stakste er auf den verriegelten Lattenverschlag zu, frohen Mutes, dass das Schloss sich ebenso leicht öffnen lassen würde wie die Ketten. Warum sollte jemand auf einem solchen Schiff aufwendige Schutzkonstruktionen benutzen?
Er behielt recht. Finn musste zwar blind arbeiten, aber wegen der Latten konnte er gut umgreifen. Seine langen schmalen Finger hatten keine Mühe, den Verschluss zu finden. Mit einem kurzen Klacken war das Schloss offen, und er schob den Riegel zurück.
Vorsichtig streckte er den Kopf hinaus und sah sich um. Alles war still, gedämpftes Nachmittagslicht fiel durch einen kleinen Seitenschlitz und die Lücken in den Planken oben herein. Finn schlüpfte hinaus und schlich den Weg in jene Richtung zu dem Bretterverschlag entlang, in den sie damals verschleppt worden waren. Wenn er nicht verlegt worden war, war Milt immer noch dort.
Als er ein Rascheln hörte, verhielt Finn und lauschte. Es war schwierig, etwas zu erkennen bei all den Verschlägen und dem Gerümpel alter Kisten, Säcke, Taue, Stricke, Netze und vielem mehr hier unten. Was mochte das gewesen sein? Bei jedem anderen Schiff, selbst der Cyria Rani, hätte Finn auf eine oder mehrere Ratten getippt. Aber auf der schwarzen Galeone gab es keine Ratten, sie fühlten sich nicht wohl in dieser schrecklichen Aura. Es gab auch keine Mäuse, nicht einmal Flöhe und Wanzen.
Als sich nichts weiter tat, ging Finn weiter. »Milt?«, wisperte er alle paar Schritte. »Bist du hier?«
Sein Herzschlag setzte für einen Moment aus, als er leise Antwort hörte. »Hier entlang! Folge meiner Stimme ...«
Freudig kam er der Aufforderung nach; es tat gut, Milts Stimme zu hören. Finn hatte schon das Schlimmste befürchtet, obwohl Aswig ihm versichert hatte, dass der Bahamaer auf dem Wege der Besserung sei. Das hätte auch ein reiner Trost sein können, um ihn nicht verzweifeln zu lassen.
»Alter ... bin ich froh«, flüsterte er und grinste, als er die Antwort hörte.
»Und ich erst.«
Finn verharrte, als direkt über ihm jemand über die Deckplanken rannte, doch diese Eile galt nicht ihm. Es blickte auch niemand nach unten, wohingegen er einige kurze Ausschnitte durch die
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