Schattenlord 12 – Lied der sieben Winde
passieren darf.
Ich ging erst mal in Deckung.
Dabei heißt meine Berufsbezeichnung »Bodyguard«, was bedeutet, ich habe den Körper anderer mit meinem Körper zu schützen, und zwar augenblicklich, noch bevor ich mitbekomme, von woher der Beschuss kommt und warum. Denn die Erwiderung auf das Feuer erledigen diejenigen, die sich nicht in unmittelbarer Nähe der zu schützenden Person befinden. Es ist ja keiner von uns allein unterwegs, wir sind überall verteilt und können sofort unabhängig voneinander handeln.
Meine Reaktion war völlig instinktiv gewesen, da ich in diesem Moment abgelenkt gewesen war. Jedem Zivilisten hätte man das verziehen, denn instinktive Reaktionen sind etwas Natürliches. Ich aber habe über zehn Jahre lang hart daran gearbeitet, diese Instinkte zu unterdrücken und rein nach antrainierten Reflexen und Verstand zu handeln. Und ich war gut darin, denn meine »Feuertaufe« hatte ich schon damals im Einsatz auf der Straße, da war ich gerade zwanzig Jahre alt, als ich und der Streetworker in eine Schießerei zweier Gangs gerieten. Damals, bei diesem ersten Mal, hatte ich automatisch reagiert, so, wie ich es jetzt, viele Jahre der Ausbildung später, auch hätte tun müssen.
Und was tat ich? Dachte an den Sex am Abend und brachte als Erstes mein bestes Stück in Sicherheit, nicht dass etwa ein Schaden entstand.
Weil Schulungen und Training trotzdem greifen, währte diese Schrecksekunde nur kurz. Doch sie genügte, um drei Menschen das Leben zu kosten, bevor ich in Bewegung kam. Den Präsidenten hatten inzwischen zwei Kollegen von mir geistesgegenwärtig zu Fall gebracht und ihn mit ihren Körpern beschützt. Ich hätte den Tag sicher nicht überlebt, wenn ihm etwas zugestoßen wäre.
Ich stürzte mich also auf den Amokschützen und erledigte ihn, aber er mich beinahe auch. Ich fing mir eine Kugel ein.
Im Krankenhaus, kaum aus der Narkose erwacht, erhielt ich meine fristlose Kündigung und die Ankündigung einer Schadenersatzklage meines Arbeitgebers. Der Präsident wies allerdings die Staatsanwaltschaft an, nicht gegen mich zu ermitteln und auch kein Disziplinarverfahren einzuleiten – warum, habe ich nie erfahren. Er bot meinem Arbeitgeber einen außergerichtlichen Vergleich an, damit ich sang- und klanglos verschwinden konnte und der Skandal sich in Grenzen hielt. Die Medien sollten von der Panne nicht erfahren, das war in niemandes Sinne.
Seine Tochter sah ich nie wieder. Kein Wunder, eine gemeinsame Zukunft war uns dadurch absolut unmöglich geworden. Sie wollte meinetwegen nicht alles verlieren oder Jahre darauf warten, bis ihr Vater aus dem Amt raus und Gras über die Sache gewachsen war, und das konnte ich verstehen. Bestimmt konnte sie mir mein Versagen auch nicht verzeihen, und damit hatte sie recht. Es waren reines Glück und der hervorragende Einsatz meiner Leute, dass der Präsident nicht zu Schaden gekommen war. Ich hoffe nur, hoffe es bis heute, dass ihr Vater nie herausgekriegt hat, warum das alles passiert ist.
»Tja«, sagte Jack am Ende seiner Erzählung zu Luca. »Das also ist meine Geschichte. Mein Vater hat so lange mein Versagen herbeigeredet, bis es passiert ist.«
»Aber das war doch menschlich«, murmelte Luca.
»Mag sein, aber drei Menschen sind tot wegen dieser Menschlichkeit. Ich hätte etwas tun können, Luca. Du aber hast es getan. Das ist der Unterschied zwischen uns beiden.«
»Du solltest dir deswegen keine Vorwürfe machen ...«
»Nein, du solltest dir keine deinetwegen machen, das ist es, was ich dir klarmachen will. Du hast alles getan, was dir möglich war – und ich hatte es vergessen.«
Luca starrte vor sich hin und nickte langsam. »Was geschah dann?«
»Ich haute aus dem Krankenhaus ab, sobald ich wieder gerade stehen konnte. Ich erwog, meinen Namen zu ändern, aber das war nicht notwendig, denn die Sache war schon bestmöglich vertuscht worden und ein anderer, inszenierter Skandal zog durch die Medien. So war ich zwar persona non grata in meinen Kreisen, aber darüber hinaus wusste niemand, wer ich war. Man hatte mich im Fernsehen zwar immer mal gesehen, aber nie meinen Namen erfahren. Und wer erkennt schon einen Bodyguard in Zivilkleidung wieder?«
»Hast du deine Eltern angerufen?«
»Dazu fehlte mir der Mut. Ich schickte ihnen weiterhin Geld; ich hatte ja einiges auf der hohen Kante, weil es wenig Gelegenheit gegeben hatte, es auszugeben. Und ein Zocker war ich nie. Was tat ich also? Ich griff nicht zur Flasche, nein. Dafür war
Weitere Kostenlose Bücher