Schattenlord 12 – Lied der sieben Winde
nicht, weil der Präsident ja Zivilist ist. Unsere Welten waren unrettbar voneinander getrennt.
Zwei Tage später rief mich Mom an und verabredete sich mit mir. Zum ersten Mal zeigte sie sich stolz auf mich. Sie hatte mich nämlich schon bei meinem ersten Einsatz an der Seite der First Lady bei der Eröffnung eines neuen Krankenhauses im Fernsehen gesehen. Sie wollte alles über die First Lady wissen, vor allem bezüglich der Kleidung, der Schuhe und des Schmucks. Als ich ihr klarmachte, dass ich damit nichts zu tun habe, sondern darauf achte, dass nichts davon durch Fremdeinwirkung einen Riss bekommt, war ihr Interesse bereits wieder erloschen.
Meines aber nicht. War meine Mutter schuld oder nicht, ich fing tatsächlich an, genauer darauf zu achten, was die First Lady trug. Wie sie sich in der Öffentlichkeit gab und dann auf dem Nachhauseweg im Wagen mit undurchsichtigen Fenstern.
Und so stellte ich fest, dass sie eine längst erwachsene Tochter hatte, die sie ab und zu noch begleitete, die aber mit dem »Präsidentenkram« nicht sehr viel am Hut hatte. Die Öffentlichkeit nervte sie, unsere Schutztruppe brachte sie schier zum Kochen. Sie wollte ganz normal und »frei« leben; sie hatte gerade ihr Studium abgeschlossen und arbeitete für ihre Doktorarbeit, eine Sozialstudie, als Streetworkerin.
So ... kamen wir ins Gespräch. Aus meinen Anfängen kannte ich die Straßen natürlich; ab und zu hatte ich auch als Rausschmeißer gearbeitet und habe Streetworker in besonders gefährliche Gegenden begleitet.
Logischerweise war sie als Präsidententochter absolut tabu für mich. Aber was willst du machen? Sie unterhielt sich mit mir, als sie erfuhr, welche Kenntnisse ich bezüglich ihrer Arbeit hatte, und fragte mich um Rat, interviewte mich, bat ihren Vater, mich ausleihen zu dürfen, um vor Ort zu recherchieren.
Tja, da kamen wir uns eben irgendwann näher. Unprofessionell von uns beiden, vor allem, da ich mich einfach hätte versetzen lassen können, und alles wäre in bester Ordnung gewesen. Aber ich wollte den Job nicht aufgeben – ich meine, noch höher kann man nicht aufsteigen! Ich liebte meine Arbeit, und in dieser Position ist es einfach nur geil, am Weltgeschehen teilzuhaben und im Stillen andere zu beschützen. Und zwar abseits aller Kriegsherde, im täglichen Leben.
Aber wir machten weiter und weiter und weiter. Bis es ernst wurde, verflixt und verdammt ernst. Sie fing an, von Heirat zu sprechen. Toll! Dann war ich meinen Job in jedem Fall los.
Dennoch ... die Idee machte uns beide euphorisch, hob unsere Beziehung auf eine andere Ebene. Wir träumten von einer gemeinsamen Zukunft mit etwas, das Menschen helfen würde ... eine Stiftung, Ausbildungsfirma, was auch immer. Manchmal schickte sie mir im Dienst eine SMS oder rief mich sogar an.
Ich tat, was keiner in meinem Job jemals machen darf. Ich ließ mich ablenken. Wurde nachlässig. Passte nicht mehr genug auf. Alle Todsünden auf einmal, und das nicht nur ausnahmsweise mal an einem Tag, sondern ständig.
Inzwischen lebten wir zusammen – heimlich selbstverständlich, aber durch meine Arbeit wusste ich, wie man das hinbekam, ohne dass es sofort aufflog.
Über meiner Arbeit aber brauten sich schwere Gewitterwolken zusammen. Ich hätte die Anzeichen einer drohenden Gefahr erkennen müssen, tat es aber nicht, weil ich so beschäftigt war mit dem Bau meines Wolkenkuckuckheims.
In meiner grenzenlosen Überheblichkeit nahm ich an, perfekt zu sein in meinem Job – weil ich ja ganz oben angekommen war – und locker Beruf und Privat unter einen Hut kriegen zu können. Es lief doch alles wie am Schnürchen! Eine glänzende Zukunft stand uns beiden bevor, ich war schon mit meinen Gedanken ganz dort. Also wurde ich sorglos.
Bis zu dem Tag, an dem ich vergaß, den Scanner in einem Museum, in dem der Präsident eine Rede halten sollte, richtig zu justieren, und ich war zudem sehr nachlässig in der Personenkontrolle. An dem Tag leitete ich unsere Schutztruppe und war verantwortlich für alles.
Ich weiß nicht, was der Typ sich dabei gedacht hatte, mit einem Waffenarsenal hereinzuspazieren, aber er kam damit durch. An mir vorbei. Weil ich gerade mal wieder mit meiner Freundin, der Tochter des Präsidenten, telefonierte und verliebt grinste, anstatt nur ein Typ im Anzug zu sein, ein Neutrum ohne eigene Gedanken oder Gefühlsleben, der verdammt noch mal seinen verantwortungsvollen Job erledigt.
Als die Ballerei losging, machte ich genau das, was niemals
Weitere Kostenlose Bücher