Schattenlord 12 – Lied der sieben Winde
könnte ich mir denken.«
»Und wie ist das bei euch Zwergen, Freund Nidi?«
»Wir sind sehr männlich orientiert«, antwortete er. »Eigentlich ziehen immer nur die Männer rum.«
»Diskriminierend.«
»Tja, so sind wir im Norden halt. Wobei ... die Göttinnen der Asen haben ordentlich was zu melden, ganz so ist es nicht. Du solltest Sif mal hören, wenn sie Thor eine Standpauke hält.«
»Sif, ah ... ist das nicht die mit dem Haar aus echtem Gold, das nachwächst?«
»Nachdem Loki ihr richtiges Haar abgeschoren hat. Keine Ahnung, was ihn damals geritten hat, jedenfalls gab es einen Riesenkrach. Wie immer eben. Er war ein Scherzbold und hat ständig Unsinn gemacht. Und dann hat Thor uns Zwerge um Abhilfe gebeten, weil Sif sich Tag und Nacht die Augen ausweinte über ihre verlorene Haarpracht. So wurde ihr ein neuer Schopf aus hauchfeinen Goldfäden gefertigt, die beinahe so wachsen wie richtiges Haar.« Nidi gab sich bescheiden und rückte erst danach damit heraus: »Na ja, ein bisschen war ich auch daran beteiligt.«
»Kein Wunder, so, wie du Gold aus deinem Fell schüttelst und formen kannst.« Arun schmunzelte. »Dennoch stimmt es, Frauen treten bei euch im Norden eher selten in den Vordergrund.«
»Bei uns Zwergen liegt es wohl daran, dass es immer nur wenige Frauen gibt. Nicht alle bekommen eine ab. Ich jedenfalls nicht, obwohl ich schon einiges vorzuweisen habe.«
»Ja, zum Beispiel ein niedliches Puschelschwänzchen.«
»Das ist ein überaus nützlicher Greifschwanz!« Nidi verlor die Lust an der Unterhaltung und turnte davon, in die Wanten hinein, und spielte dem Ausguck einen seiner berüchtigten Streiche. Der Steuermann hatte sich schon mehrmals deswegen beschwert, doch Arun hatte abgewinkt. Er ließ Nidi alles durchgehen, denn der kleine Schrazel schadete niemandem, vor allem, da er sehr viel öfter gute Geschichten zu erzählen wusste, als dass er Streiche spielte. Und ein wenig Aufmunterung konnten sie an Bord ganz gut brauchen.
Die Stimmung in Innistìr fing an, sich aufs Gemüt der Mannschaft zu legen. Arun konnte die negativen Schwingungen spüren, aber nichts dagegen unternehmen. Es wurde Zeit, dass sie wieder nach Hause kamen.
Arun selbst fühlte sich allerdings auch nicht viel besser. Die Dinge waren völlig außer Kontrolle geraten, und er wusste nicht, wie er eine Lösung in diesem Konflikt finden sollte. Vor allem, da er an und für sich an mehreren Stellen gleichzeitig sein sollte und überall gebraucht wurde. Seine Gedanken galten vor allem einer Person, die er vordringlich beschützen musste.
»Aha, du auch!«
Arun zuckte zusammen. Nidi war zurückgekehrt, und er hatte seine Annäherung nicht bemerkt. Selbst in der Sicherheit seines Schiffes durfte ihm das nicht passieren. Und schlimmer noch: Nidi saß bereits auf seiner Schulter und zupfte an einer langen schwarzen Locke, die unter dem Tuch herabhing.
»Was, ich auch?«
»Du grübelst.«
»Nein.«
»Tust du doch!«
»Kein bisschen.«
Aruns Brauen zogen sich immer mehr zusammen. »Zeig gefälligst mehr Respekt dem Käpt'n gegenüber, verstanden? Sonst werfe ich dich über Bord, und zwar ohne Fallleine!« So hatte er den Schrazel natürlich nicht anfahren wollen, aber eine Entschuldigung kam erst recht nicht infrage.
»Ja, krieg dich ein.« Nidi hüpfte unbeeindruckt auf die Reling. »Es ist nicht gut.«
»Wovon sprichst du jetzt wieder?«
»Unsere Gedanken verdüstern sich immer mehr, die Stimmung wird gedrückt. Das ist in einem Reich wie diesem nicht gut und hat weitreichende Auswirkungen. Es gibt Alberich einen Vorschub, dem Schattenlord oder beiden.«
Arun stützte den Arm auf die Reling und sein Kinn in die Hand. »Wem sagst du das?«, murmelte er.
Hinzu kam, dass keiner von ihnen eine Ahnung hatte, wo sie nach dem Dolch suchen sollten. Nidi setzte fast ununterbrochen sein Gespür ein, doch bisher hatte sich nichts ergeben. Die Zeit lief ihnen davon. Und sie waren ohne ihre Freunde unterwegs, die wenigstens ein bisschen für Ablenkung gesorgt hatten.
»Flugreiter in Sicht!«, rief der Ausguck in die Grübeleien hinein.
Der Korsar fuhr herum und hastete dem Fingerzeig nach zum Heck. Nidi sprang neben ihm her auf der Reling entlang. Er musste grenzenloses Vertrauen in sein Gleichgewicht haben: Ein Fehltritt, und er stürzte in die Tiefe, die mehrere hundert Meter unter ihm lag.
Arun beschattete die Augen; hier oben war das Sonnenlicht stärker. Tatsächlich, da kam etwas angeflogen. Ein Adler.
»Und wo ist
Weitere Kostenlose Bücher