Schattenlord 12 – Lied der sieben Winde
das brachte sie erneut auf die ursprünglichen Überlegungen zurück.
Sie musste ihn herausfordern. Hinhalten. Beschäftigen. Ablenken. So lange, bis Arun eintraf. Und vielleicht entdeckte sie bei diesem Bestie-und-Opfer-Spiel auch seine Schwäche. Den Weg, seinen Fluch aufzudecken, ihn damit zu konfrontieren und vielleicht sogar davon zu lösen.
Warum nicht gleich wieder eine Partie Schach?
Nörgelchen spottete über sie, denn diese neue Schachpartie würde vermutlich ganze zwei Minuten dauern, dann war es vorbei und ihre Seele verloren. Nein, sie musste sich auf ihren eigenen ... haha ... Intellekt verlassen. Sie musste perfide vorgehen. Hatte sie nicht etwas von Norbert Rimmzahn gelernt, der ein Meister der Manipulation war? Natürlich war Fokke nicht dumm und hatte sich über die Welt weitergebildet, aber er war trotzdem seit Jahrhunderten Alleinherrscher auf diesem Schiff, niemand bot ihm je die Stirn und zwang ihn dadurch, so manches Verhalten zu überdenken. Oder Überlegungen über verändertes Verhalten anzustellen. Und er war an diese Planken gefesselt, konnte sie nicht verlassen. Ein theoretisches Wissen nach Hörensagen war nicht das Gleiche wie persönliche Erfahrung.
Ich bin jung. Ich komme aus einer Welt, die er nicht kennt – der Shows und des Scheins, der erlogenen Offenbarungen im Rampenlicht. Fokke existiert schon so lange mit seiner Macht, er ist eitel. Er würde als Erster aufs Fernsehen hereinfallen und sich dort zum Affen machen.
Ja, genau, so würde sie es machen – ihn mit der Moderne aufs Glatteis führen. Ihn bei seiner Eitelkeit packen und durch jede kleine Lücke schlüpfen und von innen her das Nagen anfangen.
Sie wartete jetzt am besten das nächste Gespräch mit ihm ab und würde dann schon den Weg finden, ihn herauszufordern. Wäre ja gelacht!
Ich krieg dich, Drecksack.
Laura erwachte, als der untote Kapitän in die Kajüte kam. Die Müdigkeit hatte sie letztlich doch überwältigt; andererseits brauchte sie Schlaf. Und sie fühlte sich keineswegs so gerädert wie das letzte Mal, obwohl sie auch jetzt nicht geträumt hatte. Aswigs Trank hielt anscheinend noch vor.
Träge blinzelte sie, als Fokke sich ihr näherte. Seine bösartige Aura rüttelte sie auf und ließ ihren Magen zusammenklumpen. Das war stärker als jede Kettenmagie und machte sie vollends munter.
»Nun?«
Nicht mehr, nur dieses eine Wort. Er stand vor ihr, die Arme vor der gewaltigen Brust verschränkt.
Sie antwortete nicht, sondern sah nur trübe zu ihm auf. In ihrem rechten Mundwinkel saß ein Schaumbläschen, das sie mit ihrer Spucke vorbereitet hatte.
Es erzielte den gewünschten Effekt. Der nichts ahnende Kapitän war unzufrieden und stellte fest, dass es wohl »des Schlechten« zu viel gewesen war. Er habe sie zwar ruhigstellen wollen, doch jetzt müsse sie wieder zu sich kommen.
»Hä?«, machte Laura und murmelte mit glasigem Blick vor sich hin. »Müde ...«
Sie musste sich zusammennehmen, um nicht zurückzuweichen, als er dicht zu ihr kam, um die Ketten zu lösen, die rasselnd zu Boden fielen.
Laura fühlte sich augenblicklich besser, aber so leicht würde sie es ihm nicht machen. Sie gähnte, machte fahrige Bewegungen und nuschelte etwas von »Hunger«. Den bekam sie nun tatsächlich, und zwar ordentlich. Die Ketten hatten das Bedürfnis bisher unterdrückt und sie irgendwie in eine Schattenwelt versetzt, aber jetzt, wieder ganz da, benötigte sie dringend Nahrung.
»Ah ja, ihr Sterblichen«, brummte Fokke. »Das vergesse ich immer. Vor allem ihr Menschen, ihr haltet ja gar nichts aus. Aber mach dir keine Gedanken, das wird bald vorüber sein, dann bist du auf diese dummen organischen Dinge nicht mehr angewiesen.«
Na klar, und du hast das frische Obst immer nur deswegen als Dekoration da, weil du ja so ein empfindsames und geschmackvolles Gemüt hast und es lediglich hübsch findest, passend zur Einrichtung.
Wie schon beim letzten Mal musste der Kapitän einen unsichtbaren Wink gegeben oder einen unhörbaren Ruf abgesetzt haben, denn bald darauf kam Aswig mit einem Tablett herein, auf dem ein tiefer Teller mit Eintopf und Brot und etwas zu trinken standen. Unheimlich war das, und Laura fragte sich, ob er nicht zu jedem Zeitpunkt genau wusste, wo sein Schiffsjunge sich aufhielt.
Laura war es egal, was sie aß, sie schlang alles in sich hinein. Sie wusste, anschließend würde die nächste demütigende Prozedur mit Kramp bevorstehen. Ein wenig Bewegung würde ihr allerdings guttun. Doch
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