Schattenlord 12 – Lied der sieben Winde
der Reiter, du einäugige, blinde Fledermaus?«, rief Arun zum Ausguck hoch.
»Äh, ich dachte, weil er direkten Kurs auf uns genommen hat ...«
»Steuermann!«, schrie der Korsar. »Tausch sofort den Ausguck aus, der hat einen Sonnenstich!«
»Aye, Käpt'n«, brummte der Grauhaarige und machte sich an die Ausführung des Befehls.
Der Adler kam mit ruhigem Flügelschlag zügig näher, er wusste perfekt die Thermik zu nutzen; ein großes, elegantes Geschöpf. Nidi suchte Schutz auf Aruns Schulter.
Bald schon war das leise Rauschen der Schwingen zu hören, und der Adler stieß einen Pfiff aus. Er besaß ungefähr die doppelte Größe eines Steinadlers. Dadurch konnte er zwar keinen Reiter tragen, aber er war ausdauernd, flink und wendig und konnte überall nicht nur landen, sondern auch wieder starten. Hervorragend als schneller Kurier oder Helfer im Kampf.
Er zog schließlich mit dem Schiff gleichauf. Arun lief mit Nidi zurück zum Mitteldeck und wies auf ein passendes Stück der Reling, das der Vogel mit seinen Fängen gut greifen und sich darauf halten konnte.
»Komm an Bord, mein Freund!«, rief er dem Adler zu. »Ich denke, du bringst uns eine Botschaft!«
Andere Vögel hatten sich bisher hier oben nämlich gar nicht gezeigt, denn es war sehr hoch, und vor allem konnten sie durch die Wolkendecke nicht jagen.
Der Adler pfiff erneut, dann flog er einen Bogen und steuerte die bezeichnete Reling an. Zuerst im Gleitflug, dann auf der Stelle schwingenschlagend, streckte er die Fänge mit den messerscharfen Krallen vor.
Kurz darauf setzte er elegant auf, als stünde die Cyria Rani gar nicht unter Fahrt.
»Steuermann!«, rief Arun.
Dieser kam bereits mit einer Schüssel rohem Fleisch und einem dicken Lederhandschuh. »Bin schon da, Käpt'n.« Er reichte beides dem Korsaren.
Nidi sprang augenblicklich auf die Schulter des Steuermanns, um nicht in die Nähe des Schnabels zu kommen.
»Guter Mann.« Arun zog den Lederhandschuh über, pickte mit der anderen Hand ein Stück Fleisch aus der Schale und legte es in die Grube zwischen Daumen und gekrümmtem Zeigefinger.
Vorsichtig hielt er die Hand dem Adler entgegen, der die Gabe zuerst mit schief gehaltenem Kopf beäugte und dann blitzschnell zuschnappte. So gezielt, dass er den Handschuh nicht einmal berührte.
Das wiederholten sie fünfmal, dann zeigte der Adler durch Schnabelklappen und Aufschütteln der Federn an, dass er satt war. Der Steuermann nahm Schale und Handschuh zurück und stellte sich etwas abseits.
»So«, sagte Arun lächelnd. »Wünsche, gut gespeist zu haben. Benötigst du noch Wasser?«
Der Adler bewegte verneinend den Kopf, aber nicht wie ein Mensch zur Seite, sondern in rotierender Bewegung, als würde er Wasser abschütteln.
»Nun denn – was hast du zu melden?«
Der Adler öffnete den Schnabel leicht und stieß einen leisen, hohen Pfiff aus. Daraufhin kroch zu Aruns Erstaunen aus seinen langen Federn unterhalb des Nackens ein kleiner grauer Vogel, einem Spatz nicht unähnlich.
»Sgiath grüßt dich«, piepste der kleine Vogel und hüpfte mit flatternden Flügelchen neben den vergleichsweise riesigen Adler auf die Reling.
»Mich laust der Affe«, stieß Nidi hervor und sprang ebenfalls auf die Reling. Vorsichtig pirschte er sich an den Spatzenvogel heran. »Der Adler ist also doch ein Reittier?«
»Er kann mich schnell und sicher überallhin tragen, vor allem in solche Höhen«, zwitscherte der kleine Bote.
»Bist du ... Sgiath?«
»Sei nicht naiv.«
Nidi warf Arun einen Blick zu. »Merkwürdiger Typ!«
Der Korsar grinste. »Hast du auch einen Namen, kleiner Vogel?«
»Ich finde, dieser passt sehr gut«, flötete Kleiner Vogel. »Sgiath spricht durch mich, und er hat eine dringende Nachricht für euch beide. Er kann eure Fragen hören, wir sind miteinander verbunden.«
»Wie hast du uns denn gefunden?«, wollte Arun vor der Botschaft wissen. Das war seine Art, mit schlechten Neuigkeiten umzugehen – und keine anderen waren zu erwarten.
»Wir sind einfach den Wolken gefolgt, das war nun wirklich nicht schwer«, gab Kleiner Vogel bereitwillig Auskunft. »Sgiath gab uns den ungefähren Radius vor, in dem ihr euch seit dem Aufbruch befinden musstet, und nach der Befragung von ein paar Vögeln war die Richtung klar – und die Wolken der passende Hinweis. Wir sind das Volk der Lüfte. Denkst du, wir kennen diese Tricks nicht?«
»Doch, natürlich. Verzeih meine dumme Frage.«
»Sgiath spricht jetzt. Hört gut zu.«
Der Tonfall
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