Schattenlord 13 – Der Dolch des Asen
hatte.
»Wetterhexen also«, wiederholte sie. »Frauen, die gar keine sind, sondern Elementare. Dinge, die sich zu etwas entwickelt haben, dem das Leben eigentlich fremd ist – und dennoch Eigenschaften der Lebenden angenommen haben.« Sie drehte ihm den Kopf zu und starrte ihn aus leeren Augen an. »Du bist mit ihnen verwandt, nicht wahr?«
»J... ja.«
»Du hast dein flüchtiges Verhalten von ihnen geerbt. Du lässt dich mal hierhin, dann dorthin treiben. Das ist es, was die Cailleachs ausmacht.«
»Ich kann nichts für meine Vorfahren!«, sagte er heftig.
»Ich mache dir auch keinen Vorwurf.« Sie redete weiter mit einer Stimme, die ihre Hoffnung verriet: »Du kennst die Wetterhexen, also kennst du womöglich ein Mittel, die Wirkung ihrer Arbeit ungeschehen zu machen.«
Er holte mehrmals Atem, wollte ihr die Wahrheit sagen, brachte es aber dann doch nicht fertig. Er schwieg und starrte betroffen zu Boden.
»Keine Antwort ist auch eine Antwort.« Gloria tastete mit den Händen um sich. So lange, bis sie sein Gesicht gefunden hatte. Die Finger glitten über seine Nase, seine Wangen, seinen Mund. Sie tat es mit einer Zärtlichkeit, die er bei seiner Begleiterin niemals zuvor empfunden hatte. »Da ist Feuchtigkeit rings um deine Augen.«
»Ich schwitze. Es ist heiß. Das Kaminfeuer ...«
»Natürlich.« Sie wischte seine Tränen an ihrer Kleidung ab. »Wir waren zu lange mit Menschen unterwegs. Sie haben auf uns abgefärbt und uns Emotionen gezeigt, die nichts Elfenhaftes mehr an sich haben.« Sie zögerte. »Ich finde das ... schön.«
»Ich finde es beschissen!«, platzte es aus ihm heraus. »Das ist nicht fair!«
»Wir beide sollten das Wort Fairness nicht allzu oft in den Mund nehmen.« Gloria lächelte.
»Aber ich dachte ... ich meine, wir haben noch viele Jahre vor uns! Viel Spaß, viele Abenteuer. Und nun das ...«
» Das ist etwas, das passieren kann, wenn man Dinge riskiert. Und wie komme ich eigentlich dazu, dich zu trösten, wenn das Schicksal doch mich bestraft?«
»Es hätte mich erwischen müssen. Die Cailleachs hatten es auf mich abgesehen, du hast dich dazwischengeworfen und mich gerettet.«
»Du hättest das Gleiche für mich getan.«
»Du weißt, dass ich das nicht gemacht hätte.« Er schüttelte den Kopf. »Es ist alles meine Schuld! Ich hätte der Versuchung widerstehen müssen, das Du-weißt-schon-was an mich zu nehmen. Ich hätte dich niemals in diese Angelegenheit mit reinziehen dürfen. Ich hätte einen vernünftigen Fluchtplan überlegen sollen, statt uns beide von einer Malaise in die nächste zu treiben. Und dann diese Angelegenheit mit Amalfi ...«
»Du bist, wer du bist. Und es hätte mir jederzeit freigestanden, dich zu verlassen.« Gloria erhob sich. Sie blieb wackelig auf den Beinen und tat versuchsweise einen Schritt nach vorn, auf das Feuer zu.
Ihre Augen glitzerten hell. Winzige Blitze schossen daraus hervor, sprühten und zischten leise.
Ruairidh fing sie auf, bevor sie über einen Schemel stolpern konnte, und führte sie näher zum wärmenden Feuer. Sie rieb sich die kalten Finger.
»Hast du eigentlich eine Ahnung, was deine Verwandten hier zu suchen haben und wo wir uns eigentlich befinden?«, fragte sie. »Und was hat es mit dieser Hütte auf sich?«
»Das Holzhaus ist nicht real, befürchte ich.« Ruairidh zog die Schultern ein. »Es ist ein Gestalt gewordener Zufluchtsort. Eine Hilfskonstruktion derjenigen, die es aus den verschiedensten Gründen hierher verschlagen hat. Sie suchten nach Schutz in dieser grausigen Umgebung, und irgendwann entstand die Hütte. Sie ist noch längst nicht fertig; wenn du genauer hinsiehst, wirst du bemerken, dass Kanten und Ecken verschwimmen ...«
Ruairidh verstummte, sobald er registrierte, was er eben sagte. Gloria konnte nichts mehr sehen. Sie würde niemals wieder etwas sehen.
»Ist schon gut«, meinte sie und lächelte. »Du wirst dich daran gewöhnen.«
Er sammelte seine Gedanken und erzählte weiter: »Ich kann mich dunkel erinnern, dass die Cailleachs in meinen Kindheitstagen einen Aufstand der Elementare gegen die Crain und andere Elfengeschlechter anzettelten. Sie wollten nicht akzeptieren, dass sie in der Anderswelt bloß ein Aspekt von vielen waren. Du weißt ja, wie Elementare so sind. Sie lassen sich ungern etwas sagen, weil sie der Meinung sind, die ersten mit Verstand gesegneten Wesen zu sein.«
»Ich kann mich daran erinnern, etwas über diese Auseinandersetzung gehört zu haben. Sie dauerte lange
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