Schattenlord 13 – Der Dolch des Asen
diese seltsamen Geschöpfe. Er war mit ihnen verwandt, wenn er sich richtig an die Familienlegenden erinnerte. Doch diese Verwandtschaft mit den Wetterhexen würde ihm in dieser Situation nichts nützen. Die Cailleachs galten als Sippe engstirniger und bösartiger Weiber, die sich in entlegene Teile der Elfenreiche zurückgezogen hatten oder dorthin vertrieben wurden. Sie akzeptierten keine Herrscher, keine Könige. Sie waren frei wie der Wind, und sie gestalteten die Umwelt nach ihrem Gutdünken.
Wo war Gloria abgeblieben?
Er entdeckte sie. Eingeklemmt zwischen Felsen, bloß wenige Schritte von ihm entfernt. Von Felsen, die gegeneinanderdrückten. Die drohten, ihr die letzten Quäntchen Sauerstoff aus den Lungen zu pressen. Vier Cailleachs umringten sie. Mit aufgeplusterten Backen bliesen sie über seine Begleiterin und sorgten für irrwitzige Stürme rings um die erschöpft wirkende Gloria.
Ruairidh horchte in sein Inneres. Er war so schrecklich müde – und dennoch ertastete er neue Kraftreserven. Sie steckten in seiner Brust und wärmten ihn, dort, wo Du-weißt-schon-was versteckt war. Er hörte ein Flüstern, das ihm weismachen wollte, dass er im Recht war und dass er die Pflicht hatte, seiner Gefährtin beiseite zu stehen.
Er torkelte auf sie zu, vorbei an Cailleachs, die weiterhin weiße Blitze in seine Richtung abfeuerten und Hagelkörner auf ihn spuckten. Doch sie konnten ihm nichts anhaben. Neben Ruairidhs Erschöpfung war da noch eine riesengroße Empörung darüber, dass ihnen das Schicksal einfach keine Chance gab. Sie stolperten von einem Fettnäpfchen ins nächste, wurden durchgeprügelt, waren mehr als einmal dem Tod nah gewesen. Und kaum waren sie einer Gefahr entronnen, wartete schon das nächste Problem auf sie.
Nun gut – er hätte sich nicht mit Amalfi abgeben müssen. Aber was konnte er denn dafür, dass er so unglaublich attraktiv war?
Ruairidh stellte sich vor Gloria. Wind umtoste ihn, doch er spürte ihn kaum. Denn er glaubte nicht daran und entzog den Cailleachs damit einen Großteil ihrer Kraft.
Sie kamen näher. Streckten fahle, spitze Finger nach ihm aus, als wollten sie ihn in kleinste Stücke zerteilen. Schleuderten ihm Gewitterwolken, Eisbrocken und Wirbelstürme entgegen. Ruairidh war unbeeindruckt. Er hatte es satt! Er würde sich nicht weiter herumschubsen und schon gar nicht von mickrigen Wettergöttinnen unterkriegen lassen!
Eine der Alten Frauen näherte sich ihm so weit, dass er ihren schwefligen Gestank wahrnehmen und ihre Wetterrunzeln erkennen konnte. »Ich bin Cailleach Dubh«, kreischte sie, »und ihr habt hier in den Ceanns nichts verloren! Ihr habt den stürmischen Tod verdient, den kühlen und hitzigen, den eisigen und brennenden!«
Ruairidh erwiderte nichts. Er ignorierte die Cailleach, so gut es ging. Er kannte den Namen Dubh, hatte ihn in den frühen Tagen seines Lebens oft genug gehört. Diese Wetterhexe galt als eine der Mächtigsten ihrer Art; allerdings konnte sie ihre Macht nur dann ausüben, wenn man die Angst vor ihr und ihren Schwestern nahe genug an sich heranließ.
Kalter Wind packte und durchströmte ihn. Die Cailleach war durch ihn gefahren, hatte seine Gedanken durchwühlt und nach Wegen gesucht, ihm Angstgefühle einzuflößen. Noch hielt er stand. Noch besaß er Kraft, die aus Wut und Empörung gespeist wurde.
»Ah – du bist der kleine Ruairidh!«, schrillte Cailleach Dubh. »Es steckt auch ein kleines Stück von mir in dir. Wir sind verwandt, wie Erde und Gras miteinander verwandt sind.« Sie blies ein Schneegestöber aus, das sich über seinem Haupt austobte und ihn rasch mit einer dicken Schicht des kühlen Nasses bedeckte. »Glaub nur nicht, dass mich dies davon abhalten wird, dich einzufrieren und zerspringen zu lassen! Du fühlst dich schwach an, und ich hatte immer schon eine Abneigung gegen schwache Wesen. Wir Cailleachs sind mächtige Geschöpfe, unabhängig und niemals zu bändigen. Es gibt keine Flasche, die groß und stark genug ist, uns zu halten. Es existiert keine Grenze, die uns aufhält, und es gibt keinen König, der uns sagen darf, wo wir uns bewegen dürfen ...«
»Und dennoch seid ihr hier, eingezwängt zwischen Felswänden!«, schrie Ruairidh gegen den Sturm an. Er deutete nach links und rechts, auf nebelverhangene Wände, die vor Feuchtigkeit glitzerten. »Ihr steht so eng beisammen, dass ihr euch beinahe berühren könnt. Unabhängige Geister, wie ihr es seid – sie hassen die Nähe, nicht wahr? Und dennoch seid
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