Schattenlord 13 – Der Dolch des Asen
Reserven zurück, von denen er nicht einmal gewusst hatte, dass er sie besaß. Er kombinierte seine Kräfte mit denen der Agenten, stärkte das Kollektiv. Gloria brachte sich nun ebenfalls ein. Ihre Magie leuchtete strahlend hell, heller als jemals zuvor. Es war, als würde der Verlust des Augenlichts durch neue innere Stärke aufgehoben werden!
Sie umgaben ihr Gefährt mit einer undurchdringlichen Mauer. Sie spiegelte ihr Selbstbewusstsein wider und das Wissen, dass ihnen die Cailleachs nichts anhaben konnten, solange sie auf einer Linie blieben und einander vertrauten.
Es war ein Vorgang, den Ruairidh niemals für möglich gehalten hätte, und er war intimer als alles, was er jemals erlebt hatte. Er lernte die Ängste und Probleme der jeweils anderen kennen. Ihre Abneigungen, Phobien, Gelüste, Vorlieben, ihren Sinn für Ästhetik.
Der Austausch dauerte nur wenige Sekunden, und doch glaubte Ruairidh, als die Berührung endete, mehr über Gloria, Cwym und Bathú zu wissen als über jedes andere lebende Wesen.
Die Kutsche brauste mit gehörigem Tempo durch das Felslabyrinth. Feòrag fand seinen Weg mit traumwandlerischer Sicherheit, und als sich ihm zwei Cailleachs in einem letzten, verzweifelten Versuch, sie aufzuhalten, in den Weg warfen, hoppelte er einfach über sie hinweg und zertrampelte sie.
Die Düsternis ließ nach, der stürmische Wind ebenfalls. Alles, was ihnen eben noch Angst gemacht hatte, blieb weit zurück und wurde rasch zur schemenhaften Erinnerung. Sie hatten es geschafft. Sie waren dem Herrn November von der Schippe gesprungen. Und das ausgerechnet dank ihrer erklärten Feinde.
Sie befanden sich in einem Teil Innistìrs, den Ruairidh bislang nicht bereist hatte. Rings um sie wuchs Grün. Paradiesvögel zwitscherten und beklagten sich lautstark über die unerwarteten Störenfriede. Ein Fleischtier mit dem Aussehen eines Rhinozeros, dem statt eines Horns ein schlabbriger Knubbel über das Maul hing, beschnüffelte Feòrag neugierig. Das Riesen-Erdhörnchen schnappte desinteressiert zu und kümmerte sich dann wieder um das Aas einer Gazelle, das vor ihm auf dem moosbedeckten Boden lag.
»Eine Dschungellandschaft«, sagte Cwym wenig einfallsreich.
»Wir hätten besser auf den Weg achten sollen«, meinte sein Begleiter.
»Ist das dein Ernst? Wir sollten froh sein, dass wir den Cailleachs entkommen sind. Mich fröstelt es jetzt noch, wenn ich an diese Windgestalten denke.«
»Aber wir haben unser Ziel erreicht.«
»Wir haben die Diebe gefasst.«
Beider Blicke wandten sich ihm zu. Die Agenten musterten ihn von oben bis unten. Teils angewidert, teils mit neuem Respekt, der sicherlich mit dem kollektiven Fühlerlebnis zu tun hatte, das sie eben erst durchgemacht hatten.
»Jetzt können wir nach Hause gehen«, sagte Bathú, der glatzköpfige Elf.
»Um König Dafydd die Gefangenen zu übergeben.«
»Und das Du-weißt-schon-was .«
»Er wird uns reich belohnen.«
»Er wird uns in den Hofstaat aufnehmen. Man wird uns achten, uns lobpreisen.«
Sie verstummten, als Gloria, die bislang noch kein Wort gesagt hatte, mit den Händen nach den Gesichtern der beiden Thyrths tastete. Ihre Finger glitten über Haut und Knochen, entlang der markanten Linien ihrer beiden Verfolger. Sie standen starr da und ließen es geschehen, als würden sie die Berührungen genießen.
»Ihr seid außerordentlich schlechte Lügner«, sagte sie mit sanfter Stimme.
»Wie bitte?« Cwym entzog sich dem Zugriff der Biber-Elfe.
»Der Königshof interessiert euch gar nicht mehr«, behauptete sie. »Mag sein, dass ihr einmal auf Ruhm und Ehre aus wart, aber das ist vorbei.«
»Unsinn!«, widersprach Bathú heftig.
»Deine Stimme straft dich Lügen, Polizist.« Gloria lächelte. »Ihr hättet niemals mit Menschen in Berührung kommen, hättet nicht so lange in ihrer Nähe bleiben dürfen. Ihr spürt nun den Wert einer Gemeinschaft – und was diese sonderbaren Wesen ausmacht. Das Elfische, diese Selbstsucht und der Eigennutz, sie blättern von euch ab. Umso mehr, als ihr eben uns beide berührt und kennengelernt habt.«
»Das war bloß für ein paar Sekunden«, meinte Cwym, »und ich habe nichts Besonderes dabei gefühlt.«
Ruairidh ergriff das Wort. »Ach ja?« Er lächelte. »Ihr habt gespürt, dass uns die Nähe der Menschen ebenfalls verändert hat. Sie haben uns gezeigt, dass sie nicht nur schlechte Eigenschaften in sich tragen, sondern auch diese allumfassende Liebe spüren, die wir Elfen nun mal nicht kennen.
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