Schattenlord 6 - Der gläserne Turm
unterbrach sich, als habe er vergessen, dass die, von denen er sprach, direkt vor ihm standen. »Ihr wisst schon«, sagte er abschließend.
»Also gut.« Nock stand auf. »Dann kommt mit.«
Auch die anderen erhoben sich. Bei jedem Schritt bebte der Boden unter ihren Füßen.
Sie sind so groß, dachte Laura. Sie versuchte, sich das Aussehen der Riesen einzuprägen, aber ihr Blick glitt immer wieder von ihnen ab, so als könne ihr Verstand nicht begreifen, dass etwas so Großes sich bewegte, handelte und sprach.
»Waren die Riesen in Asgard auch so groß?«, fragte sie Nidi leise, als sie ihnen zusammen mit Milt und Finn folgte.
»Ich weiß es nicht genau. Ich habe mich immer bemüht, möglichst weit weg zu sein, wenn sie auftauchten.« Er hatte Angst, das hörte sie an seinem Tonfall.
»Mach dir keine Sorgen. Sie haben keinen Grund, uns etwas zu tun. Und sie wirken doch recht freundlich.«
»Hmhm.« Mehr sagte Nidi nicht dazu.
Die Riesen führten sie weiter den Berg hinauf. Nach ein paar Metern bogen sie nach links in eine Lücke zwischen den Berghängen ab, die gerade breit genug für sie war. Sie bewegten sich scheinbar langsam und schwerfällig, legten jedoch mit jedem Schritt eine so große Entfernung zurück, dass Laura und die anderen Schwierigkeiten hatten, ihnen zu folgen.
Hinter der Lücke befand sich ein fast kreisrundes Plateau, eingeschlossen von Hängen. Die Riesen blieben vor etwas stehen, was Laura im ersten Moment für einen großen Haufen Steine hielt - bis es sich bewegte.
»Das ist er«, sagte Nock. »Unser kleiner Riese.«
Laura trat näher heran. Es war fast dunkel, und es fiel ihr schwer, in dem Geröllhaufen eine Gestalt auszumachen. Doch dann drehte sich der kleine Riese rumpelnd und knirschend auf den Rücken. Wie ein Säugling strampelte er mit Armen und Beinen. Seine Fäuste - immerhin so groß wie Wassermelonen - griffen ins Leere.
»Ein Babyriese?« Finn schien nicht glauben zu können, dass er richtiggelegen hatte. »Irgendwie niedlich, oder?«
Der Babyriese war zwar so groß wie ein Lastwagen, aber verglichen mit den Erwachsenen wirkte er klein und, wie Laura sich nach kurzem Zögern eingestand, wirklich niedlich. Seine Augen waren rund und groß, sein Gesicht pausbäckig.
»Vergiss nicht«, flüsterte Nidi, »dass er wächst und dann ebenso tödlich wird wie die Erwachsenen.«
»Hör auf zu unken«, sagte Laura ebenso leise. Je länger sie die Riesen beobachtete, desto friedlicher erschienen sie ihr. Retsch und Donk gingen an dem kleinen Riesen vorbei zu einem der felsigen Hänge. Nach Kriterien, die Laura nicht erkennen konnte, suchten sie einige Steine aus, brachten sie zurück und fütterten den Kleinen damit.
»Er hat immer Hunger«, sagte Nock. Er klang stolz.
»Bist du der Vater?«, fragte Milt.
Die beiden Riesen, die nicht mit der Fütterung beschäftigt waren, sahen sich an. Dann neigte Nock seinen gewaltigen Schädel. »Riesen vermehren sich nicht wie ihr«, erklärte er. »Der Fels bringt uns hervor. Wir wachsen in ihm, bis wir groß genug sind.«
»Wie in einem Ei«, fügte Krock hinzu.
Nock nickte. Hinter ihm kaute der kleine Riese auf einigen Steinen. Er schien begeistert davon zu sein, denn er griff immer wieder nach denen, die ihm Retsch und Donk hinhielten.
»Wenn wir aus dem Stein herauskommen«, fuhr Nock fort, »sind wir natürlich hilflos, aber normalerweise warten bereits Erwachsene auf uns, wenn es so weit ist. Riesen werden sehr selten geboren.«
»Zum Glück«, flüsterte Nidi.
Laura ignorierte ihn. »Wie alt ist er?«, fragte sie.
»Nicht alt. Acht- oder neunhundert Jahre.« Krock kratzte sich erneut am Kopf. Das schien seine bevorzugte Geste zu sein. »Aber er wächst schnell.«
Finn ging langsam um den kleinen Riesen herum. Laura fiel auf, dass die Erwachsenen ihn dabei nicht aus den Augen ließen.
»Wieso glaubt ihr, wir wollten ihn stehlen?«
Nock seufzte. Im letzten Licht der Dämmerung wirkten seine Augen so tiefblau wie ein Ozean. »Weil es unter euch Zauberer gibt, die glauben, dass in zermahlenen Riesenknochen große Magie steckt. Es ist leichter, einen kleinen Riesen zu stehlen als einen großen.«
»Sie bringen sie um?« Milt wirkte entsetzt.
Donk drehte sich zu ihm um und hob rumpelnd die Schultern. »Wie sollen sie sonst an die Knochen kommen?«
Es klang beinahe gleichgültig, aber Laura hörte die Wut in seiner Stimme. »Ihr sagtet, wir könnten euch vielleicht helfen? Geht es darum, den Kleinen zu schützen?«
»In
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