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Schattenlord 6 - Der gläserne Turm

Schattenlord 6 - Der gläserne Turm

Titel: Schattenlord 6 - Der gläserne Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Hände auf die Ohren. »Hör endlich auf!«, schrie er. »Lass mich in Ruhe!«
    Andreas stolperte durch eine graue Nebelwand. Er wusste nicht mehr, wo er war. Sein Geist war in Streitereien mit seiner Frau verstrickt (»Wer bist du wirklich, Andy? Was verbirgst du vor mir?«), das Inferno aus Schmerz, das einst sein Körper gewesen war, floh vor etwas, das er nicht mehr verstand.
    Du fliehst vor mir, sagte der Dämon mit der Stimme seines Vaters. Aber ich werde immer bei dir sein und dich an alles erinnern, was du zerstört hast. Deine Mutter, mich und nun auch all die Passagiere, die man dir anvertraut hatte. Deine albernen Spiele und Bücher ersetzen doch keine Pilotenausbildung. Ein richtiger Pilot hätte das Flugzeug aus der Gefahrenzone gesteuert, aber du Spielzeugpilot hast es abstürzen lassen.
    Der Dämon sagte die Wahrheit. Nach all den Jahren erkannte Andreas das nun. Der Absturz war seine Schuld, all die Toten danach auch. Sogar Hubert hatte er nicht gerettet, obwohl er gesehen hatte, wie krank der Mann war. Wenn er nur endlich sterben würde, endlich ein Leben beenden könnte, das nur Unglück über andere gebracht hatte.
    Es wurde plötzlich hell. Licht stach wie Klingen in seine Augen. Andreas schrie auf. Seine Beine gaben unter ihm nach. Er brach zusammen und blieb zuckend und würgend liegen. Verschwommen sah er die Nebelbank hinter sich und das weite Land vor sich. Ein Schatten glitt über die Ebene.
    Andreas krümmte sich zusammen, als ihn Schmerz durchfuhr wie ein Schock. Plötzlich konnte er seine Beine nicht mehr bewegen, sein linkes Auge wurde blind. Sein Herz setzte aus, schlug, setzte erneut aus.
    Du stirbst, sagte der Dämon.
    Ja, ich sterbe, dachte Andreas. Ich werde mich auflösen, bis nichts mehr von mir übrig bleibt. Es wird sein, als hätte es mich nie gegeben. Und du, Dämon, stirbst mit mir.
    Der Dämon antwortete nicht.
    Andreas spürte seinen Herzschlag nicht mehr. Sein sehendes Auge starrte in einen Himmel, der langsam dunkler wurde.
    Etwas schob sich hinein, ein schwarzer Umriss, dunkler als der Tod, dem Andreas entgegentrieb.
    Nein, dachte er, nicht der Seelenfänger!
    Es war der letzte Gedanke seines Lebens.

    Und der erste seines Todes.
    Andreas sah hinab auf seinen Körper, der sich schon bald auflösen würde. Zusammengekrümmt lag er am Boden. Seine Kleidung war zerrissen, seine Haut zerkratzt, er hatte tiefe Wunden an Armen und Beinen. Er wirkte so klein und verletzlich, dass Andreas auf einmal bedauerte, was er ihm angetan hatte.
    Ich hätte um Hilfe bitten sollen, dachte er. Keiner hätte mich abgewiesen, und vielleicht hätten die Elfen mich sogar heilen können.
    Doch der Dämon hatte das nicht zugelassen, das erkannte er nun. Und der Dämon war weder ein mystisches Wesen noch sein enttäuschter, armseliger Vater, sondern nur ein Symptom seiner Krankheit. Jahrelang hatten Doktor Gephardt und all die anderen Ärzte in der Klinik ihm das klarmachen wollen, doch geglaubt hatte er ihnen nie. Nun wusste er, dass sie recht gehabt hatten.
    Ich bin bei klarem Verstand, dachte er, vielleicht zum ersten Mal in meinem ...
    Nein, es war nicht mehr sein Leben, es war sein Tod.
    Gesund, aber tot. Die Ironie reizte ihn zum Lachen. Er warf einen Blick nach oben, zum Seelenfänger, der seine Seele anzog wie ein Magnet. Schwarz und unheimlich hing die Galeone über ihm. Die Segel waren gerefft, die Geschützluken geschlossen. Niemand blickte über die Reling, und doch spürte Andreas, dass er beobachtet wurde.
    Er wehrte sich gegen den Sog, versuchte, sich abzustoßen wie ein Turmspringer und durch die Luft davonzuschwimmen. Sein Körper löste sich zwar tief unter ihm am Boden auf, aber Andreas fühlte sich nicht wie ein Geist. Wenn er an sich hinabblickte, sah er seinen Körper, wenn auch ein wenig durchscheinend, so wie bei den Kranken im Krater. Er konnte sich bewegen, nur entkommen konnte er nicht.
    Der schwarze Kiel des Seelenfängers kam immer näher. Andreas streckte die Hand danach aus, aber sie glitt hindurch. Er erschrak so sehr, dass er aufschrie. Dann verschwand die Welt um ihn herum. Alles wurde grau und diesig, so als trenne ihn ein Nebel von einer Umgebung, die plötzlich ihre Farbe verloren hatte. Andreas stand - oder schwebte? Er war sich nicht sicher - im Unterdeck des Seelenfängers. Die Geräusche des Schiffs klangen dumpf und verzerrt. Er konnte die Rufe über sich an Deck kaum verstehen, nahm aber an, dass die Segel gehisst wurden.
    »Warum ist es so

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