Schattenlord 6 - Der gläserne Turm
entfernt. Andreas ahnte, dass der Junge nicht mehr zu ihm kommen würde, wenn er den Frachtraum erst mal betreten hatte. Diese Blöße würde er sich nicht geben.
»Warte.«
Andreas blieb stehen und lächelte, ohne sich umzudrehen.
»Du kannst ruhig mitkommen«, sagte der Junge mit seiner verzerrten Stimme. »Ich verspreche dir, dass ich keine blöden Antworten geben werde, wenn du aufhörst, blöde Fragen zu stellen.«
»Ist Wie heißt du? eine blöde Frage?«
»Nein.« Der Junge schwieg einen Moment. »Aswig«, sagte er dann.
Andreas drehte sich um. »Freut mich, deine Bekanntschaft zu machen, Aswig.«
30
Die Frau unter
der Stadt
B ist du wirklich immer noch sauer wegen dieser Sache im Wald?«, fragte Finn.
»Natürlich nicht.« Milt winkte ab, doch dann steckte er die Hände in die Hosentaschen und ging mit gesenktem Kopf weiter.
»Das ist albern, Milt. Ohne dich wäre der ganze Plan gescheitert. Wenn du nicht so langweilig gewesen wärst ...«
Er brach ab, als sein Gegenüber ihn scharf ansah. »Schon gut, vergiss es.«
Sie befanden sich auf der vierten Ebene, gingen eine breite Straße entlang, auf der ihnen nur wenige Krii begegneten. Finn war froh darüber, denn jede Begegnung zog sich hin. Die Leute, die sie trafen, waren neugierig, und fast jeder lud sie in sein Haus ein.
Er sah sich um. Breynu hatte das Anwesen des Priesters, den sie besuchen sollten, zwar beschrieben, aber die ständig wechselnden Farben der Stadt erschwerten die Orientierung.
»Ist es das dahinten?«, fragte er nach einem Moment. Das Haus, auf das er zeigte, lag hinter gläsernen Ziermauern und war von hohen Glaskristallbäumen umgeben.
»Sieht so aus.«
Sie gingen durch das Tor. Es gab nirgendwo Wachen, weder vor den Anwesen noch auf den Straßen. In ganz Innistìr hatte Finn noch nie einen so friedlich wirkenden Ort besucht.
Isolation hat auch ihre Vorteile, dachte er.
Durch eine der Glaswände sah er einen Krii in einem dunklen Gewand. Er kniete vor einem gläsernen, reich verzierten Altar und hob ab und zu die Hände.
»Ich glaube, er betet«, sagte Milt leise. »Sollen wir warten, bis er fertig ist?«
Finn setzte zu einer Antwort an, doch da drehte der Mann sich bereits zu ihnen um. Seine Augen wurden groß. Mit einer Geste bedeutete er ihnen zu warten, dann kam er schwerfällig auf die Füße und ging zur Tür.
»Herzlich willkommen in meinem Heim«, sagte er lächelnd, als er Finn und Milt öffnete. »Bitte, kommt herein. Auf so fernen Besuch habe ich lange gewartet.« Er führte sie nicht in das Altarzimmer, sondern in eines weiter hinten im Haus. »Hier kann man uns von der Straße nicht sehen«, sagte er. »Es klingt vielleicht anmaßend, aber ich möchte eure Geschichten hören, ohne dass die halbe Straße daneben steht.«
Das Zimmer, in dem sie standen, war groß und rund. An den Wänden hingen Regale, in denen Bücher aus schwarzem Glas standen. Die Symbole, die in die Buchrücken geritzt worden waren, konnte Finn zwar erkennen, aber nicht verstehen.
»Hier ist wirklich alles aus Glas, oder?«, fragte er.
»Fast alles.« Der Priester lächelte und bat sie, sich auf ein Sofa zu setzen, das mit weichen Kissen gepolstert war. Er selbst zog sich einen Stuhl heran. Sein Name war Mo-Gabursy, Priester der vierten Ebene. Sein Körper war so groß und lang gezogen wie Breynus, aber wesentlich breiter. Kleine Falten durchzogen seine Gesichtshaut. Sie wurden tiefer, wenn er lächelte - und er lächelte oft.
Finn erzählte von den Schwierigkeiten, die sie auf dem Weg nach Amarihye gehabt hatten, und von ihrer Suche. »Und deshalb sind wir hier«, sagte er schließlich.
Mo-Gabursy lehnte sich in seinem Glasstuhl zurück. »Was für eine faszinierende Geschichte. Ich muss gestehen, dass ich nach all dem, was ihr zu berichten habt, froh bin, dass es einen solchen Schutzwall zwischen uns und der Welt gibt oder gab. Dort draußen scheint es mehr Grausamkeit als Frohsinn zu geben.«
»Das ist schon richtig.« Die Glaskante des Sofas schnitt unangenehm tief in Finns Kniekehle. »Aber wenn man nichts darüber weiß, kann man auch nichts dagegen tun.«
»Ein weises Wort.« Mo-Gabursy stand auf. Seine Gelenke knackten bei jedem Schritt. »Seid ihr auf euren Wanderungen den Göttern begegnet?«, fragte er, während er mit dem Zeigefingern über die Buchrücken fuhr. Er schien etwas zu suchen.
»Nein«, sagte Milt. Auch er rutschte auf dem Sofa hin und her. »Wir sind Geistern begegnet, Drachen und Elfen, aber
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