Schattenlord 7 - Das blaue Mal
begründete. Entsprechend groß ist nach wie vor sein Einfluss.«
»Die Dinge in Innistìr ändern sich offenbar nicht allzu rasch.«
»Die Dinge in Innistìr ändern sich kaum einmal«, sagte Lirla schmallippig.
Was für eine Diskrepanz zu jener schnelllebigen Zeit, in der ich groß geworden bin! Wie, so frage ich mich, kann ich irgendjemandem hier begreiflich machen, dass mein Tod nur noch Wochen oder Tage entfernt ist, wenn ich es nicht schaffe, von hier zu entkommen und in meine frühere Existenz zurückzukehren?
»Du bist also keine Elfe?« Zoe dachte an Ruairidh, an Bathú und an Cwym, die sich ebenfalls an Bord des Flugs nach Miami befunden und sich als Menschen getarnt hatten, als sogenannte Larven.
»Nein.«
»Wer oder was bist du dann?«
Lirla antwortete nicht. Ihr Blick war in weite Ferne gerichtet, in eine gedankliche Welt, die sich Zoes Verständnis entzog. Die groß gewachsene Blondine wirkte mit einem Mal klein und hilflos und fremd.
War sie aus einer ganz anderen ... Anderswelt hierher verschleppt und in Lebensumstände gezwungen worden, die nicht die ihren waren? Was war ihre Geschichte?
Behalte diesen Gedanken im Hinterkopf. Rede beizeiten mit ihr, interessiere dich für ihr Schicksal! Du bist ja sonst auch nicht auf den Mund gefallen. Vielleicht kommst du an sie ran und kannst sie als Verbündete für eine Flucht gewinnen.
Zoe richtete ihre Aufmerksamkeit auf ein weiteres hervorstechendes Merkmal dieser außergewöhnlichen Stadt. Aus dem beinahe kreisrunden Kraterboden stachen Felsnadeln empor, auf deren Spitzen weitere Gebäude thronten, die wiederum durch Stahltrossen und breite Netze miteinander verbunden waren.
»Wem gehören diese Paläste?«, fragte sie und deutete auf die Bauten. »Sind das etwa die Sommerresidenzen des elfischen Hochadels?«
»In den Kartausen leben und wirken die Priester. Weit weg von allen weltlichen Belangen, in räumlicher wie transzendentaler Abgeschiedenheit.«
»Diese Hütten wirken nicht gerade bescheiden.«
»Die Priester leben das Leben, das sie sich verdient haben. Gemeinsam mit der Hohen Herrin zeichnen sie für Sicherheit, Zufriedenheit und Stabilität in Dar Anuin verantwortlich.«
»Und meine Rolle ist ...?«
Lirla schürzte die Lippen. Sie wirkte mit einem Mal nachdenklich. »Wir müssen gehen«, sagte sie dann.
Der Palast Kariëm - er war ein Teil des Vulkans Mateysköll. Die Gründerväter der Stadt hatten kraft ihrer Gaben und ihrer Zauber die Außenwandung des Kraters ausgehöhlt und einen Gebäudekomplex darin verborgen, dessen Tiefen wohl selbst von der am längsten dienenden Wächterin nicht ausgelotet werden konnten. Prunkraum reihte sich an Prunkraum. Verschlungene Gänge verbanden sie miteinander, davon abzweigende Seitenwege führten zu weiteren Hohlräumen, in denen Eleganz und Schönheit gehuldigt wurde.
»Dies hier ist der dem Volk bekannte Unterpalast«, sagte Lirla. »Man sagt, dass er bis weit unter die Erde reicht. Es gibt Gerüchte von Elfen, die sich in den Untiefen verloren hätten und seit Jahrhunderten verzweifelt nach dem Ausgang suchten.«
»Die Langlebigkeit hat auch einige Nachteile, wie mir scheint.«
»Mag sein.« Die Syndicatin deutete auf einen unscheinbaren Treppenaufgang, der von einem gelangweilt dreinblickenden Burschen im Alter von etwa zwölf Jahren bewacht wurde. »Dies ist der Aufgang zum Oberpalast. Die dortigen Räumlichkeiten stehen bloß uns Frauen zur Verfügung. Selbst die Priester haben keinen Zutritt.«
Lirla winkte Zoe hinter sich her. Sie trat an den Burschen mit dem blonden Lockenhaar und den strahlend blauen Augen heran, flüsterte ihm ein paar Worte zu und sagte dann laut: »Die Herrin und ihre niederste Dienerin begehren Zutritt!«
»Macht, was ihr wollt, Weibsgesindel!« Der Knabe nahm einen Dolch zur Hand, dessen Griff mit wertvollen Rubinen bestückt war, und kratzte damit Schmutz unter seinen Fingernägeln hervor.
»Ein wenig Respekt täte dir nicht schaden, Kleiner!«, sagte Zoe.
»Ach ja?« Wasserblaue Augen richteten sich auf sie. In ihnen trieb etwas. Eine Art Schleier. Etwas, das ihr Angst machte. Das tief in Zoe etwas weckte, vor dem sie sich zeit ihres Lebens gefürchtet hatte. Sie fühlte, wie ihr Herz aufhörte zu schlagen, wie ihr Blut gefror, wie ihr Kreislauf versagte und sie langsam zu Boden sank ...
Kräftige Hände fingen sie auf und stützten sie. »Lass deine Späße, Epimos!«, hörte sie Lirla sagen. »Sie ist die neue Herrin.«
»Eine von vielen. Na und?
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