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Schattenlord 7 - Das blaue Mal

Titel: Schattenlord 7 - Das blaue Mal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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Zoe nicht richtig festhalten konnte, ganz anders waren.
    Sie ließ die Blicke über Hermelindecken schweifen, die von den Wänden hingen und unzählige goldene Borten trugen. Kandelaber, Kronleuchter und Stehlampen waren mit massiven Honigkerzen versehen, die süßlichen Geruch verbreiteten und meist mit Bronzefarbe überzogen waren. Stühle und Tische waren gedreht und gedrechselt, mit neckischen Figuren verziert, aus knorrigem Holz geschnitzt. Sie wirkten, als hätten sich Generationen von Tischlern daran versucht, bevor sie ihre Form erhalten hatten. Ihre derzeitige Form; denn Zoe entdeckte immer wieder Handwerker, die sich mit Einrichtungsgegenständen beschäftigten, manchmal auch im Streit mit anderen ihres Metiers.
    Zoe schloss die Augen und atmete tief durch. Sie ließ sich blenden. Sie verlor das Wesentliche aus den Augen.
    Sieh dich genau um, Mädchen! Merk dir das kleinste Detail. Such nach Fluchtwegen. Nach Ansätzen, wie du aus diesem goldenen Käfig entkommen kannst.
    »Dies wird für eine ganze Weile dein letzter Ausflug in den unteren Palastbereich sein«, sagte Lirla, die Zoe gegenübersaß. »Du sollst sehen, wo du thronen und Audienz halten wirst.«
    »Warum wollt ihr mich von diesen Bereichen fernhalten?«
    »Niemand will dich von hier fernhalten, Schätzchen. Aber wir müssen Traditionen wahren. Die Herrscherin mit dem Blauen Mal fungiert meist im Verborgenen. Sie lässt sich nur selten herab, dem Volk ihre Aufwartung zu machen. Und wenn sie es tut, muss sie exakt jenem Bild entsprechen, das sich die Bewohner Dar Anuins von ihr gemacht haben. Dies ist eine Regelung, die sich während der letzten Jahrzehnte bewährt hat.«
    Zoe beschloss, einen Vorstoß zu wagen. »Weil ihr derart verhindert, dass das Volk euren Schwindel durchschaut und feststellt, dass die Herrscherin mit dem Blauen Mal mehrmals wechselte? Obwohl man es Glauben machen möchte, dass die Frau mit dem Blauen Mal seit Ewigkeiten regiert?«
    Lirla schwieg. Lange. »Du bist klüger, als du aussiehst«, sagte sie dann. »Womöglich zu klug. Und definitiv zu vorlaut.«
    »Das habe ich bereits das eine oder andere Mal gehört.« Zoe klimperte mit den Augenlidern. »Aber keine Sorge. Ich bin durchaus in der Lage, das dumme Blondinchen überzeugend darzustellen.«
    »Das wäre auch besser für dich.«
    Die Sänfte hielt an. Zoe schlug die Gazetücher beiseite und lugte ins Freie. Sie sah riesige Flügeltore, die eben von bedrohlich wirkenden Gestalten geöffnet wurden. Sie ähnelten Minotauren, besaßen aber Hauer wie Wildschweine. Rings um die Wesen hatten schlanke, hochgewachsene Elfen in voller Rüstung Aufstellung genommen. Misstrauisch beäugten sie die Arbeit der Minotauren.
    Lirla bemerkte ihre Blicke. »Im Gegensatz zu anderen Städten in Innistìr gibt es in Dar Anuin nur wenige unelfische Wesen. Sie sind schlecht gelitten und verrichten ihre Arbeiten meist unsichtbar.«
    »Das gilt auch für dich?«
    Lirla presste die Lippen fest aufeinander und schwieg.
    Zoe registrierte es mit einer gewissen Genugtuung. Je mehr Beobachtungen sie machte, desto inhomogener präsentierte sich diese städtische Gesellschaft. Die Elfen Dar Anuins wollten sich als Visionäre präsentieren, die ein architektonisches Juwel aus dem erloschenen Krater eines Vulkans gehauen hatten und ein friedliches Leben lebten. Doch sie verbargen Diener, die sie für Drecksarbeiten einsetzten, vor den Augen der Öffentlichkeit. So als schämten sie sich für sie.
    Waren Wesen wie Lirla oder Epimos zufrieden mit ihrem Schicksal? Oder konnte sie sie auf ihre Seite ziehen und für ihre Fluchtpläne heranziehen?
    Die Syndicatin wandte sich ihr zu. Ihre hellblauen Augen leuchteten mit einem Mal auf. »Ich weiß, was du denkst«, sagte sie. »Ich rate dir, diese Überlegungen zu lassen. Sie führen zu nichts, sie schaden dir bloß.«
    Zoe nickte. Mit zittriger Hand wischte sie den Schweiß von der Stirn. Ihr Gegenüber besaß Kräfte, die sie nicht verstand und deren volle Wirkung sie keinesfalls kennenlernen wollte.
    Sie zog sich in die Sänfte zurück. Das Gefährt war innen wesentlich geräumiger, als es von außen aussah. Hier wirkte gewiss auch ein Zauber, den sie nicht weiter hinterfragte.
    Zoe fühlte, wie sich das Gefährt neuerlich in Bewegung setzte. Zwischen den beiden gewaltigen Flügeln des Tors hindurch ging es in einen Raum, den sie als gewaltig groß empfand, ohne auch nur mehr als vage Eindrücke durch die Gazevorhänge zu gewinnen. Die Schritte ihrer

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