Schattenlord 7 - Das blaue Mal
erschien beinahe beruhigend angesichts des Schreckensregiments, das Lirla in diesem Teil des Palasts errichtet und unter dem sie zu leiden hatte.
Vögel zogen über den von keinem Wölkchen getrübten Himmel. Sie flogen in einer V-Formation, die sie kaum einmal veränderten, einem unbekannten Ziel entgegen. Ihr fröhliches Krächzen klang wie Hohn in Zoes Ohren.
Die Tür hinter ihr öffnete sich, Teufel stieß einen Warnlaut aus.
»Lirla«, sagte sie, ohne sich umzudrehen. Niemand außer der Syndicatin würde den Raum betreten, ohne anzuklopfen.
»Es ist Zeit, Gesandte.« Die Frau trat dicht neben sie und verschloss das Fenster. Kerzen- und Fackellicht ließen die Zimmerflucht düster, fast unheimlich wirken.
»Zeit wofür?«
»Maletorrex verlangt, dass du bei ihm vorstellig wirst.«
»Er will wissen, ob ich ausreichend vorbereitet bin, um meine Rolle als Gesandte einzunehmen?«
»Richtig erkannt.«
»Und wenn ich es nicht bin? Werde ich bestraft? Oder etwa du?«
»Möchtest du denn wirklich herausfinden, wer von uns beiden leichter zu ersetzen ist?« Die Blondine lächelte. Wie ein Raubtier.
»Keineswegs.« Zoe erwiderte das Lächeln. »Ich will bloß wissen, woran ich bin.«
Lirla zeigte mit spitzem Finger auf sie. »Da ist noch immer viel zu viel Widerstandsgeist in dir, Gesandte. Hüte dich davor, deine Frechheiten vor dem Priesterrat fortzusetzen. Maletorrex und seine Gefolgsleute sind längst nicht so nachsichtig, wie ich es bin. Und jetzt zieh dich an, Herrin. Etwas, das dem Anlass gerecht wird.«
»Und das wäre?«
»Der Priesterrat begeistert sich für viel nacktes Fleisch.«
Wie es Zoe sich gedacht hatte. Auf sie warteten geile, alte Böcke, die dahinschmolzen, sobald ein Weibchen ein wenig von seinem Bein herzeigte. »Ich habe verstanden.«
»Beeil dich, Schätzchen. Maletorrex ist ein ungeduldiger Mann.«
Lirla winkte Aramie und drei weitere Dienerinnen in den Raum, die sich augenblicklich an den Wäschekisten und Schränken zu schaffen machten. Die Syndicatin hingegen verließ den Raum. Immerhin: Zoe durfte ihre Kleidung selbst auswählen.
Bald lagen Dutzende Kostüme auf dem Himmelbett, die Königinnen in Ekstase versetzt hätten. Manche waren klassisch elegant geschnitten, andere auffällig und mit viel Zierrat versehen. Allen Kleidern war gemein, dass sie perfekt saßen. Die Schneiderinnen hatten sich tagelang abgemüht, hatten gemessen und geschnitten und ausgebessert und schließlich eine Garderobe für sie zusammengestellt, wie sie Zoe niemals zuvor gesehen oder getragen hatte. Und dann all die Schuhe ...
Sie folgte einer Laune. Wie immer, wenn sie richtig gut aussehen wollte. »Das, das und das«, bestimmte sie, stellte sich mit leicht gespreizten Beinen hin, streckte die Arme zur Seite und ließ ihre Dienerinnen den Rest der Arbeit erledigen. Die Frauen arbeiteten flink und folgten ohne ein Widerwort ihren Anweisungen. Da gehörte der Saum des Rocks ein wenig verlängert, dort der Sitz der Bluse mit Zwirn und Nadel rasch gestrafft, sodass ihre körperlichen Vorzüge noch ein klein wenig besser zur Geltung kamen. Für diese Garderobe könnte ich sterben, dachte sie und unterdrückte ein hysterisches Kichern. Nun - vielleicht muss ich das sogar.
Teufel krächzte und breitete seine Flügel weit aus. Vielleicht verstand er ihre Gedanken ja wirklich.
6
Intermezzo:
Die Wahrheit über
Dar Anuin (III)
V ertreter der d’Haags und der Charistmenas siedelten in der untersten Reihe des Vulkanrunds. Sie waren die ersten Angehörigen wirklich bedeutender Elfen-Geschlechter, die den Weg hierher gewählt hatten und den Ideen der Städter positiv gesinnt waren. Andere würden kommen, dessen war sich Shire sicher.
Sie hatte einstmals ebenfalls einen großen Namen getragen, ihn jedoch abgelegt und darauf bestanden, dass ihr die Erinnerung daran aus dem Gedächtnis gelöscht wurde. Sie war hier, um als Shire besondere Leistungen zu vollbringen, und nicht als verzärteltes Gör eines Biriam, Keuter, oder d’Gaich, um nur die Namen von einigen der prominentesten Blutslinien Innistìrs zu nennen.
Shire die Namenlose wurde sie manchmal genannt von den mehr als sechshundert Bürgern, die Dar Anuin mittlerweile nach ihren eigenen Vorstellungen formten, abseits von allem Standesdünkel, der die elfische Gesellschaft in weiten Teilen des Landes fest im Griff hielt.
Sie betrachtete den Prunkbau, der dereinst das Zentrum der Stadt darstellen würde. Die Elfen hatten ihn entlang der inneren
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