Schattenlord 7 - Das blaue Mal
Tücher, Reisigbesen und auf wackeligen Tischen umherstehendes Geschirr wurden rasch versteckt. Elfenfrauen nahmen in Reih und Glied Aufstellung. Weiter hinten im Raum erahnte Zoe andere Wesen, die nichts Elfisches oder Menschenähnliches an sich hatten. Sie blieben im Halbdunkel verborgen.
»Du hast ihnen zu wenig Zeit gelassen, um sich auf meinen Besuch vorzubereiten«, flüsterte Zoe Lirla zu, die hinter ihr stehen geblieben war.
»Man kann ja wohl von gut ausgebildeten Dienerinnen der Gesandten verlangen, dass sie jederzeit auf eine Visitation durch ihre Herrin vorbereitet sind.« Die Syndicatin lehnte sich weit vor zu ihr und sagte in Zoes Ohr: »Dieses Chaos schreit geradezu nach einer Bestrafung.«
Lirlas Worte waren eine einzige Versuchung. Zoe fühlte den heißen Atem in ihrem Nacken. Er verursachte ein ganz besonderes Kribbeln, das sich in ihrem Körper ausbreitete. Das sie lockte. Das sie versuchte.
»Ich denke darüber nach«, sagte das Model, mühsam beherrscht. »Zuerst sollte ich meine Aufgabe hier erfüllen und mich der Dienerschaft als neue Gesandte vorstellen. Meinst du nicht auch?«
»Selbstverständlich, Herrin.« Lirla konnte ihre Enttäuschung, dass Zoe den im Palast wirkenden Zaubern und ihren Verlockungen widerstand, wohl nur schwer unterdrücken.
Zoe schritt die Reihen der Elfen ab. Es waren Frauen, die kaum etwas mit jenen stolzen Geschöpfen gemein hatten, die sie bislang im Land Innistìr kennengelernt hatte. Viele von ihnen trugen Narben im Gesicht und auf den Leibern, fast alle ließen sie die Köpfe hängen. Zoe sah wenig Verzweiflung - und sehr viel Gleichgültigkeit. Diese Frauen hatten sich längst aufgegeben.
»Wie heißt du?«, fragte sie eine vergleichsweise füllig wirkende Elfe.
»Darisiah, Gesandte.« Die Frau machte einen formvollendeten Hofknicks.
»Ich kenne dich noch nicht. Was hast du für eine Aufgabe im Palast?«
»Ich webe kleine Zauber, Gesandte. Ich bin dir morgen bei der Kleiderprobe zugeteilt.«
»Darisiah erzeugt Visionen«, fiel Lirla ihr ins Wort. »Sie ist gar nicht mal so schlecht dabei. Sie und drei ihrer Kolleginnen werden dich in der Öffentlichkeit perfekt erscheinen lassen. Dein Aussehen wird so sein, wie es die ältesten Elfen Dar Anuins kennen.«
»Du bist also ein fleischgewordenes Photoshop-Programm?«
»Wie bitte, Gesandte?«
»Ach, nichts ...« Zoe nickte der Frau zu und ging weiter, wandte sich nach links und nach rechts, lächelte unverbindlich, sagte das eine oder das andere Wort. Wie sie es in Dokumentarfilmen bei Angehörigen des britischen Königshauses beobachtet hatte.
»Wie ist dein Name?«, fragte sie eine bucklig dastehende Elfe am Ende der Reihe.
»Gmbl.«
»Wie bitte?«
Die Frau öffnete den Mund. Sie deutete auf eine leere Mundhöhle und auf einen Stummel dessen, was einmal eine Zunge gewesen war.
»Pardies galt stets als vorlaut«, soufflierte Lirla. »Sie war Aramies Vorgängerin als persönliche Leibdienerin, schaffte es aber nicht, ihren Mund zu halten. Also musste ich etwas unternehmen und ihren Arbeitsplatz in der hiesigen Hierarchie ein wenig verlagern. Sie beschäftigt sich heutzutage mit der Reinigung der Abtritte. Eine Arbeit, die sie mit größtem Vergnügen leistet. Nicht wahr, Pardies?«
»Hmch.« Die Elfe nickte ehrerbietig.
Zoe war schwindlig, vor ihren Augen tanzten weiße Punkte. Nur unter Aufbietung höchster Willenskraft schaffte sie es, die Contenance zu bewahren. Sie durfte Lirla keine Angriffsfläche bieten, durfte keine Schwäche zeigen.
»Ich danke dir für deine Dienste, Pardies«, murmelte sie und ging weiter. Hin zu den dunklen Bereichen des Raumes, in dessen Schummerlicht albtraumhafte Wesen ebenso warteten wie solche, deren ätherische Schönheit mit Worten nicht zu beschreiben war.
Zoe sah Gargylen. Engelähnliche Geschöpfe, aus deren Flügeln Flitter rieselte, zu Boden sank und dort feuchte Flecken hinterließ. Eine Schlangenfrau, die ihren Körper um eine Säule geschlungen hatte. Eine Art Meerjungfrau mit schuppiger Haut, die unterdrückt ächzte. Deren Kiemenöffnungen sich krampfhaft öffneten und schlossen und nach Wasser gierten. Eine Lichterscheinung, geisterhaft, die hell wie ein Glöckchen sang. Drei aneinander geklammerte Personen, androgyn wirkend, deren gummiartige Arme stetig in Bewegung blieben und wie suchend nach dem Widerstand fester Materie umhertasteten.
Zoe war kaum noch in der Lage, ihre Aufgabe zu erfüllen. Ihre Gedanken kehrten immer wieder zu der
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