Schattenlord 7 - Das blaue Mal
Altmetall aus dem Haufen und hakte den oberen, offenen Teil ins Seil ein. »Du hältst dich an der Stange fest und stellst dich auf diese Rundscheibe. Sie trägt problemlos dein Gewicht. Zwei Dienerinnen stoßen dich ab. Der Schwung reicht, um dich bis zur Kartause zu bringen. Du darfst bloß nicht abrutschen ...«
Da war Rost. Schlick. Dreck. Abstehende Stahlspäne, die es kaum erlaubten, die Stange zu umfassen. Und wenn sie sich eng ans Metall klammerte, würden hässliche Schmutzreste ihr Kleid verunreinigen.
Teufel löste sich von ihr. Er stieß einen Schrei aus, der Lust oder Ärger gleichermaßen ausdrücken konnte. Er ließ sich in die Tiefe plumpsen, streckte dann die Flügel weit aus und tastete mit den feinen Federspitzen nach einer günstigen Thermik. Für einige Sekunden verschwand er aus Zoes Gesichtsfeld. Dann tauchte er wieder auf, Hunderte Meter entfernt, sich höher und höher windend. Die Eule genoss den Ausflug mit all ihren Sinnen.
»Mach schon, Gesandte!«
»Werde ich allein rübergeschickt?«
»Ich komme nach, keine Sorge.«
»Ich würde dir gern den Vortritt lassen, Lirla.«
» Du gehst als Erste, habe ich gesagt!« Der Klang ihrer Stimme machte deutlich, dass Lirla keinen weiteren Widerspruch duldete.
Zoe spürte Druck in ihrem Rücken. Sie fühlte sich vorwärtsgestoßen, auf die Stahltrosse zu. Sie drehte sich um - doch da war niemand! Lirla stand einige Meter hinter ihr. Sie bewegte ihren Mund, doch kein Ton kam über ihre Lippen. Die angedeuteten Worte sorgten dafür, dass Zoes Körper dem Befehl der Syndicatin gehorchte.
Lirlas magische Begabung war beeindruckend. Je rascher sie »sprach«, desto kräftiger wurde der Druck in Zoes Rücken und desto dringender war ihr Wunsch, auf die Rundscheibe jenes Schlittens zu steigen, dessen Rolle bereits aufs Seil gefädelt war und der im böigen Wind hin und her tanzte.
Das Model widerstand nicht länger. Lirla hätte sie schon früher töten können, wenn sie es gewollt hätte. Zoe würde ihre Kräfte ein anderes Mal an denen der Blondine messen.
Sie stellte sich vorsichtig auf die Rundscheibe und klammerte sich am Bügel fest. Der Seilhaken hielt, das Schwanken ihres Gefährts ließ nach.
»Los geht’s!«
Dienerinnen stießen sie an, Zoe schwebte langsam davon, über Häuserdächer hinweg, die Spielzeuggröße aufwiesen. Die Bewohner wirkten wie Ameisen, die Fußsteige wie kleine und unbedeutende Striche, die ein unbedarfter Maler in ein Bild gekleckst hatte.
Ich habe zu wenig Schwung mitbekommen! Zoe hatte zehn oder zwölf Meter zurückgelegt; noch nicht einmal ein Viertel jener Distanz, die hin zur Kartause zu überbrücken war. Die Rollen blieben in kleinen Häufchen verkrusteten Vogelkots stecken, die auf dem Stahlseil hingen. Wie lange war dieses verdammte Ding denn nicht mehr benutzt worden?
»Lirla ...!«
»Keine Sorge, meine Hübsche! Es wird alles gut. So steht es doch in den Märchenbüchern der Menschen geschrieben, nicht wahr?«
Zoes Schlitten blieb endgültig hängen. Er pendelte leicht nach, dann stand er still. Wind pfiff durch ihre Haare, das Lachen der Syndicatin dröhnte hässlich zu ihr herüber.
»Vielleicht musst du ja doch Hand anlegen und dich zur Kartause hinüberziehen?«
Zoe bemühte sich um gleichmäßige Atmung. Sie musste ruhig bleiben. Ihre Lage war besorgniserregend, aber keinesfalls aussichtslos. Sie selbst steuerte die Dinge - und das war mehr, als sie während der letzten Tage und Wochen von sich hatte sagen können. Sie musste sich bloß mit einer Hand am Schlitten festhalten und sich mit der anderen am Seil vorwärtshangeln, hin zur Kartause. Eine Kleinigkeit ...
Unter ihren Füßen bewegte sich etwas. Das Metall der Trittscheibe verbog sich unter ihrem Gewicht beidseitig nach unten. Zoe bückte sich vorsichtig und besah das Rundeisen, auf dem sie stand. Es war durch und durch rostig, würde es nicht mehr lange machen.
Zoe stellte ihre Füße, so nah es ging, zur Stange. Nun konnte sie keine Rücksicht mehr auf ihre Garderobe nehmen. Sollte das verdammte Kleid doch an einem der vielen Rostspäne der Haltestange reißen oder verdreckt werden - es war einerlei.
Eine heftige Windbö packte sie. Schleuderte sie hoch, sodass Zoes Körper beinahe waagerecht in der Luft hing, um dann zurückzufallen und eine fast ebensolche Höhe am anderen Ende des Pendelausschlags zu erreichen.
Lirla hinter ihr kreischte vor Vergnügen. Hatte sie etwa für den Windstoß gesorgt?
Nur nicht aus dem Konzept
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