Schattenlord 7 - Das blaue Mal
keine Grenzen. Sie würde jede sich bietende Gelegenheit nutzen, um Zoe eins auszuwischen.
Darauf kann man sich einstellen. Nicht aber auf eine Wahnsinnige, die ihr Schicksal vollends in die Hände von Göttern gelegt hat und meint, deren Sprachrohr zu sein, um Dinge zu tun, die in keinerlei Zusammenhang stehen.
Zoe stand auf und bereitete sich auf ihr Tagewerk vor. Sie war schrecklich müde, ihr Geist überanstrengt. Am Vortag hatte sie sich dabei ertappt, jene nächtlichen Gymnastikübungen vergessen zu haben, die zu ihrem Einschlafritual gehörten wie das Zähneputzen und der Gang zur Toilette.
Sie aß und trank und hörte dabei nur mit einem Ohr auf Aramies Geschnatter. Die Dienerin war längst aufgetaut und zu Zoes wichtigster Informationsquelle über die Vorgänge im Palast geworden. Doch sie wusste nicht allzu viel darüber, was ihrer Herrin bevorstand. Lirla warf Pläne stündlich über den Haufen und hatte sichtlich ihren Spaß daran, Zoes Fähigkeit zur Improvisation zu testen.
»... was hast du gesagt?« Sie schreckte hoch. Irgendetwas, das Aramie erzählt hatte, war in ihrem Unterbewusstsein hängen geblieben.
Die Dienerin drehte den Kopf nach links und nach rechts, wie um sich zu vergewissern, dass keine unliebsamen Zuhörer in der Nähe waren, und flüsterte dann: » Er wurde gesehen. Gestern. Auf einem Seilschlitten. Er war auf dem Weg zu Maletorrex’ Kartause.«
»Er? Du meinst den Mann mit der Maske?«
»Ja.«
»Was weißt du über ihn?«
»Man munkelt so einiges. Er gilt als einer der Denker und Lenker der Priesterschaft.«
»Ich hatte einen völlig anderen Eindruck. Als würde ihn Maletorrex gängeln und hätte Macht über ihn.«
»So scheint es. Aber man erzählt sich Dinge. Dass er ein Wesen mit ganz besonderen Fähigkeiten sei.«
Zoe versuchte, diese Information zu verarbeiten und in einen Zusammenhang zum bislang Erlebten in Innistìr zu setzen. In ihren Augen besaßen fast alle Lebewesen dieser Welt besondere Fähigkeiten. Musste sie den Maskierten aufgrund besonderer Begabungen nun als noch begabter als zum Beispiel Elfen ansehen?
»Maletorrex hat ihn in der Hand«, behauptete sie. »Er beliefert ihn mit einer Art Droge. Und er behandelt ihn wie ein Stück Dreck.«
»Nichts hier ist so, wie es den Anschein hat«, murmelte Aramie. »Verlass dich niemals auf das, was du siehst oder hörst.«
Zoe nickte. Sie beherzigte diesen Rat schon seit geraumer Zeit; doch es bereitete ihr gehörig Kopfzerbrechen. Sie fühlte sich verfolgt. Sah in jedem Schatten einen Feind und zuckte zusammen, wenn eine Frau der Dienerschaft unvermittelt nieste.
»Gibt es auch Fakten über Laycham oder lediglich Gerüchte?«
»Er lebt bereits länger hier als alle Dienerinnen. Er lässt sich von Zeit zu Zeit blicken, so wie jetzt. Manchmal taucht er an den unmöglichsten Orten auf ...«
»Auch im Oberpalast?«
»Niemals. Epimos würde ihn aufspüren und verjagen.«
»Du meintest eben, dass der Maskenträger weit über den Priestern stünde.«
»Der Oberpalast ist dennoch ein geschützter Bereich für uns Frauen. Weltliche Macht ist in diesem Bereich Kariëms nicht von Belang.«
Aramie plapperte weiter. Sie breitete Stückwerke von Geschichten vor Zoe aus, die mehr an irdische Mythen erinnerten denn an wahrheitsgemäße Aussagen. Laychams Lebensgeschichte war von vielen Geheimnissen umgeben. Er sei das Kind einer Palastdienerin, hieß es einerseits, und der Sohn eines Hauptgottes andererseits. Deshalb sei es ihm und einigen auserwählten Mitstreitern auch gestattet, Dar Anuin für längere Zeit zu verlassen. Er sei mit großer Macht ausgestattet - und dennoch hilflos, wenn es um Belange der Frauen ging. Man munkelte über eine ausgeprägte Vorliebe für junge Männer. Darüber, dass das gestörte Verhältnis zu Maletorrex auf einem Streit der beiden über einen besonders hübschen Lustknaben beruhe. Auch sei er verunstaltet. An einer ganz besonderen Stelle, »wenn du weißt, was ich meine«, fügte Aramie anzüglich hinzu.
»Das passt alles nicht zusammen«, sagte Zoe, ohne auf die letzte Bemerkung der Dienerin einzugehen. »Weiß man denn, wo er sich aufhält?«
»Vorgeblich in einem der Paläste im Kratergrund. In einem uralten Herrschaftshaus, das von den früheren Besitzern aufgegeben wurde. Dort haust er, gemeinsam mit fleischgewordenen Erinnerungen an eine längst vergessene Zeit.«
Wiederum blieben die Hinweise vage. Aramie plapperte bedenkenlos nach, was über Dutzende, über Hunderte
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