Schattenlord 7 - Das blaue Mal
Leib zu zittern begann.
Müdigkeit. Schreckliche Müdigkeit. Sie musste sich setzen, und da kein Stuhl in der Nähe war, ließ sie sich einfach auf den Boden plumpsen.
Laycham sagte etwas zu ihr. Sie verstand kein Wort, war wie betäubt. Er schrie auf sie ein, wollte sie umarmen und liebkosen und sich an sie schmiegen, so lange, bis ihn Lirla beiseitenahm.
Sein Gewand war besudelt. Mit Blut. Mit ihrem Blut, wie Shire allmählich verstand.
Es scherte sie kaum. Diese Dinge entfernten sich immer weiter von ihr, wurden profan und vernachlässigbar. Nur noch die Liebe zu Laycham hielt sie an diesem Ort und zwang sie, um jeden Atemzug zu kämpfen, um jede Sekunde, die sie bei diesem geliebten Kind verbringen durfte.
Lirlas Gesicht und auch die Körperproportionen veränderten sich eben wieder. Sie nahm Shires Form und Aussehen an, ähnelte ihr bald wie ein Ei dem anderen. Ihre Magie sog alle Schönheit aus ihr, ohne auch nur einen Funken jener Werte übernehmen zu können, die sie hochhielt und die ihr Wesen ausmachten. Shire bedauerte die Elfe. Sie hatte sich einen Kokon zugelegt, mit dem sie niemals glücklich werden würde.
»Versprich mir ...«, sagte sie zu Laycham. Dann versagte ihre Stimme. Sie versuchte es nochmals: »Versprich mir ...«
Was hatte sie sagen wollen? Ergaben Worte denn einen Sinn? Brauchte man sie, um sich auszudrücken?
Shire sah ihren Sohn an. Ließ ihn tief in sich hineinblicken und ließ ihn alles wissen, was in ihr steckte.
Dann beendete sie den Kampf und gab sich geschlagen. Sie akzeptierte das Ende allen Lichts und das Kommen des grauen Schattens, der sich wie ein Gespinst über sie legte, sie einmummte und sie auf seine kalte, grauenvolle Weise liebkoste.
»Ich habe dich erwartet, Frau Shire.«
»Und ich ahnte, dass Ihr kommen und mich holen würdet, Herr November.«
»Ich konnte dich also nicht überraschen? Wie schade ...«
»Erst nachdem Maletorrex die Macht übernahm, wurde mir bewusst, dass Ihr mich warnen wolltet. Doch Euer Plan war, nicht einzugreifen und nichts zu verhindern.«
»Du wusstest, dass ich es selbst war, der damals zu Besuch kam?«
»Ja, mein Herr. Wenngleich ich nicht verstehe, weshalb mir diese Ehre zuteilwurde.«
»Du wirst bald verstehen, edle Frau.«
Shire fühlte sich von einer Windbö gepackt und auf das Auge eines Tornados hingezogen. Sie begriff bereits jetzt. Auch ein Ewiger wie der Graue Herr sehnte sich ab und zu nach ... Gesellschaft. Wenn sie es recht bedachte, wie es ihr in der letzten Zeit ergangen war, könnte dies durchaus angenehm werden. Zumindest hoffte sie das. Nur um ihren Sohn tat es ihr leid, aber das war nicht mehr zu ändern. Gegen den Grauen Herrn kam niemand an.
»Ich habe noch eine Frage«, schrie sie gegen den Wind an.
»Wie ungewöhnlich ...« Samhain gab ein Geräusch von sich, das man als Lachen auslegen konnte.
»Wo ist die Neunte? Und wo befindet sich Arachie Larma?«
»Über das Schicksal der Neunten kann ich dir nichts sagen, bei mir befindet sie sich nicht.« Herr Samhain klang irritiert, wenn nicht gar verärgert. »Was Arachie Larma betrifft, so halte ich mein Versprechen. Sie wird ihre dreihundert Jahre in Innistìr absitzen.«
»Wo ist sie? Was ist mit ihr geschehen?«
»Sie ist überall und nirgends. Doch nun genug davon! Wir haben eine lange, anstrengende Reise vor uns, Frau Shire ...«
17
Das Geheimnis
des Prinzen
Z oe starrte den Prinzen an. Er war während seiner Erzählung auf und ab gegangen, hatte sich gegen den Kamin gestützt, seine Erzählung manchmal für Minuten unterbrochen. Er hatte gestockt, um Worte gerungen, sich immer wieder aufs Neue um Fassung bemüht.
Nun saß er da. Regungslos, völlig erschöpft wirkend.
»Nach dem Tod deiner Mutter hat man begonnen, andere Frauen zu suchen und sie an ihre Stelle zu setzen«, sagte Zoe.
»So ist es; denn Lirla, die man eigentlich an ihrer Statt einsetzen wollte, zeigte sich als wenig geeignet. Sie besaß geheimnisvolle Magie und wirkte auch stark genug, um Maletorrex’ Erfordernissen zu genügen. Sie konnte Shire zwar imitieren, schaffte es aber nie, ihr Wesen zu konservieren. Lirla, von Ehrgeiz zerfressen, stand sich selbst im Weg. Also suchte und fand man Frauen außerhalb der Kratermauern Dar Anuins. Die Priesterschaft ging dabei recht selektiv vor und konnte sich auf einige Dutzend Zulieferer verlassen. Jedes Mal, wenn das Blaue Mal zu verblassen begann und die Maske, die du trägst, ihrem Besitzer alle Energien aus dem Leib gezogen
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