Schattenmacht
verschwenden wollte, nahmen sie den Bus. Im Theater gab es keine Duschen, also zogen die beiden ihre Jeans, T-Shirts und Turnschuhe an. Sie würden sich waschen, wenn sie zu Hause waren.
Auf dem Weg nach draußen kam Frank Kirby an ihrer Tür vorbei. Sie arbeiteten nun schon zwei Jahre mit ihm zusammen, aber sie wussten kaum etwas über ihn. Er redete wenig und lächelte nie. Außerdem rauchte er zu viel. Normalerweise ging er als Letzter.
»Gute Nacht, Jungs«, krächzte er.
Sie hörten ihn den Flur hinuntergehen. Die Tür am Bühnenausgang ging knarrend auf und knallte wieder zu. Don White würde in seinem Büro sein, einen letzten Drink nehmen und mit Marcie telefonieren. Außer ihm war niemand mehr da.
Jamie beugte sich vor und band seine Turnschuhe zu. Einer hatte ein Loch, durch das er seine nackten Zehen sehen konnte. »Was war los?«, fragte er. »Was hast du gesehen, da draußen auf der Bühne?«
»Ich weiß nicht.« Scott biss sich auf die Lippe.
»Du hast gesagt, du hättest jemanden namens Daniel gesehen. Und dass ihm jemand wehgetan hat.«
»Jamie, ich will nicht darüber reden, kapiert?«
»Klar…« Jamie sah seinen Bruder verletzt an.
Scott atmete hörbar aus. »Tut mir leid. Ich wollte dich nicht anbrüllen.« Er schüttelte den Kopf. »Irgendetwas geht hier vor. Ich weiß nicht, was, aber etwas stimmt nicht…«
»Was meinst du?«
»Heute Abend. Diese Frau und alles…« Scott fuhr sich durchs Haar. Es war feucht vom Schweiß. »Hör zu, Jamie. Ich habe ein schlechtes Gefühl. Vielleicht musst du auf dich selbst aufpassen…«
»Wieso? Scott? Was ist denn los?«
Es war der Hund, der sie warnte.
Im Theater hätte niemand mehr sein sollen, und eigentlich waren auch schon alle Künstler gegangen. Don White hatte jedoch vergessen, dass Frank Kirby in einer Pension wohnte, in der Hunde nicht erlaubt waren, und dass er Jagger deshalb über Nacht in seiner Garderobe ließ. Dort schlief der Schäferhund auf einer Decke, und normalerweise merkte niemand, dass er da war.
Aber heute hatte ihn etwas gestört. Scott hörte ein tiefes Knurren, das plötzlich laut und bedrohlich wurde. Es kam vom Flur. Jamie horchte auf. Solche Geräusche hatte Jagger noch nie gemacht. Scott bedeutete seinem Bruder, in der Garderobe zu bleiben, und schaute hinaus auf den Flur. In diesem Moment sah er sie.
Zwei Männer. Ein Kahlkopf und ein Dunkelhaariger. Beide in braunen Anzügen. Scott hatte sie im Zuschauerraum nicht gesehen, aber Jamie schon. Er erkannte die beiden sofort und stellte mit ungläubigem Entsetzen fest, dass der Glatzkopf eine merkwürdig aussehende Pistole in der Hand hielt.
Scott starrte die Männer an. Sie hatten ihn in dem Moment gesehen, in dem er auf den Flur gekommen war, aber sie konnten ihn nicht erreichen. Der Hund verstellte ihnen mit gesträubtem Nackenfell und entblößten Zähnen den Weg. Jagger war zehn Jahre alt. Er schlief fast nur noch. Aber das hatte sich jetzt schlagartig geändert. Es war, als hätte er das wilde Tier in sich wiederentdeckt, das er in seiner Jugend gewesen war. Alle wussten, dass er kurz davor war, die Männer anzugreifen.
Scott begriff sofort, dass er und sein Bruder in Gefahr waren. Er hatte keine Ahnung, wer die Männer waren oder was sie wollten, aber er wusste, dass sie verschwinden mussten und dass ihnen dafür nur Sekunden blieben.
» Jamie! Komm her! «
Er rief die Worte nicht. Er dachte sie. Die Wirkung war dieselbe. Jamie stürmte aus der Garderobe und sah die Männer in dem Augenblick, in dem Jagger ein letztes Knurren von sich gab und auf sie zusprang. Banes schoss auf ihn – aber nicht mit einer Kugel, sondern einer Art Pfeil. Er traf Jagger in den Hals. Der Hund heulte auf. Scott stieß Jamie vor sich her, und sie rannten los. Hinter ihnen stürzte sich Jagger auf die beiden Eindringlinge. Das Ende des Pfeils – ein schwarzes Federbüschel – ragte hinter einem Ohr aus seinem Fell, aber er war noch bei Bewusstsein und biss knurrend und bellend um sich. Kyle Hovey schrie auf, als der Hund sich in seinem Arm festbiss. Aber dann bekam Banes ihn zu fassen. Er presste Jagger beide Hände auf den Kopf und drückte ihn auf den Boden. Der Hund versuchte, sich aus seinem Griff zu winden und wieder auf die Beine zu kommen. Aber dann wirkte die Droge, die in dem Pfeil gewesen sein musste. Jaggers Augen wurden glasig, und er lag nur noch regungslos da.
Die Jungen hatten die Ecke des Flurs noch nicht erreicht. Bei seinem Kampf mit dem Hund hatte Banes
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