Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Verlobte wirklich ist? Ist sie tatsächlich die, für die Sie sie halten?«
Martin wollte protestieren, doch Jerome hatte aufgelegt. Wie im Zeitlupentempo legte Martin das Handy auf den Tisch und blickte aus dem Fenster. Ihm gegenüber befand sich eine Reihe fünfstöckiger Wohnhäuser, von seiner eigenen Wohnung nur getrennt durch eine große Rasenfläche, auf der ein Sandkasten, eine Rutsche und zwei Schaukeln standen. Die Bäume trugen ein volles Blätterkleid und doch wäre es mit entsprechender Vergrößerung möglich gewesen, ihn durch das Geäst hindurch zu beobachten.
Martin ballte die Finger zu einer Faust und fühlte sich hilflos wie nie zuvor. Verflucht, schimpfte er lautlos. Wie kann ein Mensch nur durch bloße Behauptungen und alberne Fragen solch eine Macht auf mich ausüben? Durch die Tür hindurch hörte er, wie Catherine Bouchet, die Frau, die ein Kind von ihm erwartete, die, wie ihr Arzt geraten hatte, sich schonen sollte, ein vermutlich französisches Lied summte, während sie ihrer Arbeit nachging. Sie solle sich unter keinen Umständen aufregen, sich einem geregelten und gesunden Tagesablauf unterziehen und sich auf die Niederkunft vorbereiten. Das Dampfbügeleisen prustete wie ein Wal, wenn sie es auf der Ablage absetzte. Unter der Türritze hindurch zog Martin der belebende Duft frisch aufgesetzten Kaffees in die Nase. Alles wirkte so harmonisch, so friedlich und doch … Catherine? War sie es etwa nicht? Seine zärtliche Geliebte, seine Seelenfreundin, seine Zukunft? Die, in deren Haare er hineinroch, wenn er ihren schlanken Hals umfasste, er die Augen schloss und sie beide in diesen Sekunden allein auf der Welt waren und niemanden zu brauchen schienen? Zweifel waren wie Unkraut gesät worden und reckten ihre Wurzeln in nahrhaftem Boden aus. Wieder, wie schon kurz nach seiner Rückkehr aus Ecuador, erfasste ihn eine Woge der Hilflosigkeit. Ein Zustand, den er abgrundtief hasste, und verdammt, ja, er ließ sich stets provozieren. Woher um alles in der Welt kannte der Kerl seine Vergangenheit? Was hatte er noch drauf? Kannte er Catherine von früher? Wusste der Fremde etwas über sie, was ihm bisher verborgen geblieben war, oder war alles nur ein Bluff? Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie ihm etwas in den langen Gesprächen verschwiegen hatte, ihm je etwas verschweigen würde – oder etwa doch?
Er rieb sich am Kinn und hielt wieder das längst erwärmte Cool Pack an die Wange. Das Pochen unter seinem Auge war abgeebbt. Die quälenden Gedanken indes konnte er nicht stoppen.
Jeder Mensch hatte so seine kleinen Geheimnisse, manche auch größere, aber nicht Catherine, dessen war er sich sicher.
Martin stöhnte auf und ließ sich in seinem Schreibtischstuhl nach hinten gegen die Lehne fallen. Die Falle war zugeschnappt, ob er wollte oder nicht. Er nahm das Handy zur Hand, er ahnte, dass der Anrufer hämisch grinsend auf ihn wartete. Martin war neugierig geworden. Dieser Typ schien ja irgendwie alles zu wissen. Wissen ist Macht, dachte Martin, und diese Macht konnte man beliebig ausspielen, wenn man das Spiel beherrschte.
Martin hackte die Zahlen in sein Telefon und wartete. Es dauerte keine zwei Sekunden. Ein Klicken ertönte und dann ein Lachen.
»Ich wusste es. Sie lassen sich gern provozieren.«
»Halten Sie Ihr Maul! Sie angerufen zu haben, bedeutet noch lange nicht, dass ich bei Ihrem Spielchen mitmache.«
»Sie haben gar keine andere Wahl. Ich weiß, Sie sehen das anders, aber Sie brauchen mich. Ich bin der Einzige, der Ihnen helfen kann, und mit viel Glück überleben Sie dieses Spielchen sogar, wie Sie es nennen.«
Martin schlug mit der Faust auf den Tisch und bereute es sogleich. Er wollte nicht, dass Catherine etwas von seinem Gespräch mitbekam. Kalte Angst kroch in ihm empor und ließ seine Stimme brüchig werden.
»Was ist mit Catherine?«
»Nicht am Telefon. Heute Abend an einem belebten Ort, wenn Sie wollen.«
»Wo? In einer Bahnhofshalle, wie in einem schlechten Film?«
»Meine Zeit wird knapp. Sagen Sie schon!«
»Okay, Restaurant Mälzer Brauhaus. Lüneburg Mitte.«
»Gut. Acht Uhr. Keine Minute später. Sonst bin ich weg.«
»Wie erkenn ich Sie?«
Martin bekam keine Antwort. Er drückte die Stopptaste. Schon klar. Der Kerl würde ihn erkennen. Wie dumm von ihm.
Nach zehn Minuten des erfolglosen Grübelns verließ Martin das Arbeitszimmer. Mit Mühe gelang ihm ein verzerrtes Grinsen, als er an Catherine vorbeiging. Er nickte, sah sie scheel von der
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