Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Schöller lachte auf. Er strich über den feinen Stoff seines Anzugs, als wolle er Haarschuppen von seiner Schulter entfernen. Diese Rolle genoss er, als Richter und Inquisitor, sie schmeichelte seinem übergroßen Ego, er als loyaler Befürworter der Schattenmächte. Aufrechten Ganges stolzierte er ins Hotel zurück, wo er sich neuen Aufgaben widmen musste. Und doch, die letzte Bemerkung von Dutroit ließ sich nicht so einfach löschen wie ein unangenehmer Eintrag im Computer. Sein Sohn …
Dutroit sank nun endgültig in sich zusammen. Jegliche Hoffnung auf einen erfolgreichen Abschluss seiner Mission löste sich auf wie Frühnebel im Tal, wenn sich die Sonne durchsetzte. Bevor ihm schummerig wurde, die Schmerzen im Gesicht ein letztes Pochen an sein Gehirn sandten, sah er einen schwarzhaarigen Kerl, der sich über ihn beugte, jenen, den er mit seinem Tritt möglicherweise seiner Zeugungsfähigkeit beraubt hatte. Er sah noch, wie eine Spritze aufgezogen wurde, mit einer Kanüle, so dick wie für einen Elefanten. Eine Flüssigkeit, unschuldig babyblau, die ihm in den Arm gejagt wurde, ohne zuvor den Kolben wieder zurückzuziehen. Ohne zu aspirieren, um zu überprüfen, ob man Blut gezogen hatte und nicht Serum aus der Umgebung einer Vene. Das nicht nachweisbare Narkotikum würde zwar auch dann noch wirken, nur viel langsamer und nicht so zuverlässig. Der Schwarze hatte sich keine Zeit dafür gelassen, zu groß war sein Durst nach Rache gewesen. Der Tritt schmerzte ihn noch immer.
Dutroits Körper erschlaffte. Es schien zu wirken.
»Wohin mit ihm?«, fragte er den Kleineren, seinen Boss.
Dieser überlegte, wo sie sich gerade befanden. Hamburg, Elbe. »Werft ihn von der Köhlbrandbrücke, die ist hier in der Nähe, aber wartet, bis es dunkel ist. Falls er vorher aufwacht, gebt ihm noch einen Cocktail oder macht endgültig Schluss mit ihm. Lieber wäre es mir jedoch, es würde so aussehen, als sei er selbst gesprungen. Achtet darauf, dass euch keiner sieht!«
»Wie soll das denn funktionieren? Die Brücke wird Tag und Nacht befahren.« Der Kleine betrachtete den jüngeren Kollegen mit einem missbilligenden Blick. Mit spitzem Finger drohte er ihm vor dem Gesicht. »Du hast heute schon eine Menge versaut, mach endlich deine Scheiß- Zwanzig voll, sonst bist du draußen.«
»Es gibt noch eine andere Brücke in der Nähe, die ist allerdings nicht so hoch. Müsste aber auch reichen. Der Typ ist doch jetzt schon fertig.«
»Das ist mir egal, wie und wo, Hauptsache vernünftig, und jetzt hau endlich ab. Sieh zu, dass niemand vom Personal was mitkriegt.«
Nun reichte es dem Langen mit dem schwarzen Haar. »Ich mach das nicht zum ersten Mal. Was denkst du eigentlich?«
Der Kleinere winkte müde ab. Zu viele Probleme an einem Tag. Und nun noch eine tote Putzfrau in Sokolows Zimmer. Dieses Problem musste er vor allem elegant angehen. Ohne Aufsehen, ohne Fragen seitens der Hotelleitung. Sie würde einfach nur verschwinden müssen, so wie Dutroit, still und leise.
Der Sicherheitsbeauftragte wandte sich ab und eilte zum Fahrstuhl. Spontan entschied er, die Treppe zu nehmen. Auf dem Weg dorthin nahm er zwei Kollegen mit, kräftig genug, eine Frau zu stützen. Sie erreichten die Suite 204. Die Tür stand offen und als sie ins Schlafzimmer kamen, sahen sie den russischen Wissenschaftler, wie er sich über eine Frau beugte. Was er genau dort tat, konnte man auf den ersten Blick nicht erkennen. Hielt er seine Hände an ihrem Hals? Könnte es so aussehen, als würde er sie würgen, oder überprüfte er nur den Puls an der Hauptschlagader? Egal. Es würde reichen, ihm die Tat in die Schuhe zu schieben, zumindest aber, ihn zu erpressen. Schnell hob er die Kamera und machte ein belastendes Foto. Wer weiß, wofür man es mal verwenden könnte.
*
Es dämmerte und Dutroits Hände und Fußfesseln schmerzten, als er erwachte. Sie hatten Hände und Füße mit Kabelbindern zusammengeschnürt. Das Blut schaffte es nur mit Mühe, die Gliedmaßen zu versorgen, weiß-bläulich drückten sie sich aneinander, fest verkettet. Der Verschlag, in den sie ihn geworfen hatten, gehörte zu einem Bereich des Kellers, in dem unter anderem alte Küchenutensilien in Regalen aufbewahrt wurden. Ein weißer Schreibtisch mit verschnörkelten Griffen aus dem vorigen Jahrhundert stand neben ihm. Es roch feucht nach Schimmel. Entmutigende Kälte kroch an ihm empor, in jede Ritze zwischen Kleidung und Haut. Mit der Zunge fuhr er über die geschwollenen
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