Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Köhlbrandbrücke fuhr man in der Regel, wenn man etwas im Hafen zu erledigen hatte. LKWs, die Materialien oder Ware zu den Schiffen brachten oder etwas von dort mitnahmen, wählten diese Route. Hafenarbeiter und deren Vorgesetzte waren hier Tag und Nacht im Einsatz und doch – zum Anhalten gab es normalerweise keinerlei Anlass. Es sei denn …
Dutroits Wachsamkeit nahm zu. So viel Glück könnte man gar nicht haben. Oder vielleicht doch?
Kapitel 5
Mai 2011, Hamburg
Der Mann, der sich derzeit Jerome nannte, kannte sämtliche Tricks und war vorsichtig genug, seinen Verfolgern immer einen Schritt voraus zu sein. Genau genommen, waren seine technischen Fallen und Sicherheitsmauern mittlerweile so effektiv, dass er mit seinen Feinden für einen exakt bestimmten Zeitraum spielen konnte. So lange, bis man ihn geortet hätte, aber das geschah nicht.
Noch nicht.
Dennoch war er zu einem Leben in der Anonymität verdammt und alle virtuellen Kontakte schufen keine wirkliche Nähe. Nur ungern realisierte er, dass er einsam war. Und auch, wenn Annette lediglich als sein Werkzeug fungiert hatte – er hätte es nicht Trauer genannt, und doch, lebendig wäre sie ihm lieber gewesen. Sie hatte gewisse Vorzüge, die er schätzte. Man hatte sie mit einem Schädelbasisbruch am Straßenrand gefunden. Sie war nicht ansprechbar gewesen, doch tot war sie auch nicht. Drei Monate hatte sie im Koma gelegen und war dann verstorben. Selbstverständlich wurde kein Täter ermittelt.
Doch Jeromes Einsamkeit war der geringste Preis für seine Freiheit. Noch hatte man ihn nicht gefunden, kannte nicht seinen Aufenthaltsort. Bisher war er in Sicherheit und am Leben. Obgleich, konnte man diesen Zustand wirklich Leben nennen? Sich permanent umsehen zu müssen, ständig das Aussehen jener Identität anzupassen, deren Ausweis in der Hosentasche steckte? An manchen Tagen wusste er bald nicht mehr, wer er gerade war, wen er darstellen wollte, wie er reden sollte, welche Sprache, welcher Akzent angebracht sei.
Bisweilen ging er in der Wohnung auf und ab, schmiedete Pläne des Auswanderns, aber erst, wenn der Job erledigt war, und natürlich, falls er mit heiler Haut davonkommen würde. Er freute sich. Es war noch nicht alles verloren. Es gab wieder einen neuen Kontakt, den er für sich gewinnen wollte. Vorsichtig zwar und mit gebührendem Abstand, doch er hatte keine Wahl. Klaus Schöller war tot. Er brauchte einen Verbündeten. Allein würde er es nicht schaffen, diesen mächtigen Riesen zu Fall zu bringen. Und die Zeit drängte. Nur noch wenige Wochen bis zur nächsten Konferenz. Bis dahin müsste er seinem Ziel ein großes Stück näher gekommen sein. Wenn alles vollbracht wäre, könnten sie ihn fassen oder töten – er hätte der Welt einen großen Dienst erwiesen und sein Leben hätte einen Sinn gehabt.
Jerome setzte sich an den Tisch, auf dem sieben teils verschieden große Monitore standen, und wählte die Nummer, die er abgespeichert hatte. Der Angerufene meldete sich erneut.
»Pohlmann.«
»Hat nicht geklappt, das Spielchen Ihres Freundes Werner, was?«
Martin versicherte sich, dass die Tür zum Arbeitszimmer verschlossen war. Catherine war nebenan. Mit verhaltener Stimme antwortete er:
»Hören Sie zu, Mann. Ich bin nicht der Richtige für Sie. Ich kann und will mit der Sache nichts zu tun haben. Der Tod Schöllers ist tragisch, aber nicht mehr zu ändern. Und er ist mir auch scheißegal.«
»Na, na, na. Sollte ich mich so dermaßen in Ihnen getäuscht haben, Pohlmann? Sind Sie also doch ein Schlaffi geworden. Stecken immer noch tief in dieser Burn-Out-Kacke. Ein alter Mann, der einen langweiligen Streifendienst gewählt hat?«
Martin verengte die Augen. »Sie scheinen ja eine Menge über mich herausgefunden zu haben, dann wissen Sie ja auch, dass ich mich nicht provozieren lasse.«
Jerome lachte laut auf. Ein Bellen, das in einem weiten Raum nachhallte.
»Das war echt gut. Genau das können Sie nämlich am besten. Sie lassen sich immer provozieren.« Jeromes Stimme klang herausfordernd.
»So, nun passen Sie mal auf, mein Bester. Ich hab keinen Bock mehr auf Ihre Spielchen. Ich werde morgen Hartleib die Karte geben und dann können Sie auf ihm rumhacken. Kapiert?«
»Okay. Einverstanden. Aber eine Sache noch, bevor Sie auflegen.«
Martin zögerte einen Augenblick. »Diesmal gebe ich Ihnen vier Sekunden.«
»Mehr brauch ich auch nicht für meine Frage.«
Martin stoppte innerlich die Zeit.
»Wissen Sie genau, wer Ihre
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