Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
zog, ohne zu zögern, einen Stuhl heran und schüttelte den Regen von den Ärmeln. Der Himmel hatte gerade in dem Augenblick begonnen sich zu ergießen, als Werner den Wagen auf dem Parkplatz abgestellt hatte. Ein Platzregen, bösartig und berechnend.
Martin zupfte an seinem rötlichen Schnurrbart. Bedauern machte sich in seinem Gewissen breit.
»Ich war nicht gerade nett zu dir heute Morgen.«
»Das ist ziemlich untertrieben. Du hast dich benommen wie ein Arsch.«
Martin nickte und wusste, er könnte seine Reaktion erklären. Er dachte an Jerome, an die Fotos auf seinem Notebook, wie sie wie von Geisterhand kamen und wieder verschwanden und daran, dass er davon noch niemandem erzählt hatte.
»Na ja, ich hab eben meine Gründe.«
»Suchst du dir jetzt nur noch die Rosinen raus oder wie soll ich das verstehen? Wir zahlen alle unseren Preis. Denk mal an Lorenz!«
»Was hat das mit Lorenz zu tun? Andere Leute kriegen auch Herzinfarkte, zu jeder Zeit, an jedem Ort. Außerdem möchte ich dich nicht daran erinnern, dass das, was Dräger mit mir angestellt hat, nicht gerade Rosinen waren.«
»Okay, stimmt. Komm, lass gut sein. Das bringt doch nichts.«
»Na schön. Also, was gibt’s? Wenn du dein Eheseminar sausen lässt, muss es wohl wichtig sein.«
Werner blieb für einen Herzschlag unbeweglich sitzen, nur sein Blick drang tief in Martins Augen ein. »Wir stecken tief in der Scheiße, wenn ich das mal so salopp sagen darf.«
»Wir?«
»Sobald ich den Chip in deinen Rechner schiebe – wir.«
Das Klicken verriet das Einrasten des Chips in Martins Dienstcomputer.
»Man wird sehen«, entgegnete Martin skeptisch.
Mit wenigen Mausbewegungen öffnete Werner die Datei mit Klaus Schöllers Urlaubsfotos. »Ich hab den ganzen Nachmittag darüber gebrütet. Hab mir den Kopf zerbrochen. Ich dachte mir, das kann doch nicht sein, dass er uns seine Fotos zeigen will, um anzugeben. Das war doch klar, dass mehr dahinterstecken musste. Das wusstest du und ich wusste es auch.«
Erneut flimmerten vor Martins Augen belanglose, kitschig anmutende Paradiesfotos auf. Werner klickte sich durch die Fotos durch, bis er zu dem Gruppenbild kam. Zwanzig augenscheinlich einheimische dunkelhäutige Menschen. Im Hintergrund das Meer, einige bunt bemalte Boote, ein makelloser Himmel. Ein Ort, an den man sich gern hinbeamen wollte.
»Hier, was siehst du?«
»Komm, hör auf. Mach voran. Catherine wartet auf mich.«
»Nein, im Ernst. Was siehst du?«
Werner wartete die Antwort nicht ab.
»Okay. Ich helf’ dir. Du siehst nichts als ein paar unbedeutende Leute am Strand. Stimmt so weit. Doch jetzt pass auf: Ich vergrößere das mal.« Werner wählte willkürlich eine Person auf dem Foto aus. Ein gut aussehender junger Mann mit freiem Oberkörper, der an einem Boot lehnte und eine Inselschönheit im Arm hielt. Dann zoomte Werner auf den Kopf des Mannes. Das Gesicht füllte den Bildschirm aus. Noch immer sah man alles scharf. Das Foto war offenbar mit einer sehr hoch auflösenden Kamera geschossen worden. Als Datei mehrere Gigabyte groß.
»Und jetzt?«
Martin rückte dichter an den Bildschirm heran. Er schüttelte den Kopf. »Nichts.«
Werner vergrößerte noch mehr und führte den Cursor auf die Stirn des Mannes, dicht unter den Haaransatz. Nun wurden die einzelnen Pixel, aus denen ein Foto zusammengesetzt war, sichtbar. Für Martin zeichnete sich noch immer nichts anderes ab als eine braungebrannte Stirn, auf der einige Hautflecken, ein kleiner Pickel und Sommersprossen dominierten.
»Geduld. Es kommt gleich.« Werner führte den Cursor weiter nach rechts und über dem rechten Auge, dicht unterhalb der buschigen Braue, kristallisierte sich ein gleichmäßiger Schriftzug heraus. Werner vergrößerte noch weiter. Nun konnte Martin tatsächlich die Worte lesen.
»Lies vor. Laut und deutlich«, forderte Werner seinen Kollegen auf.
»Henry Wirringer.«
»Genau. ›Henry Wirringer‹ steht da auf der Stirn eines einheimischen Fischers. Der Name eines ehemaligen US-Außenministers. Schon seltsam, oder?«
»Ja und?«
»Mann, bist du schwer von Begriff. Auf der Stirn eines jeden Typen steht ein Name. Bei normaler Betrachtung auf den ersten Blick nicht zu sehen, logisch. Genau so sollte es auch sein.«
»Eine Liste mit Namen.«
»Noch nicht einmal aufwendig verschlüsselt oder so. Nicht wie in Hollywood-Filmen mit einem Zahlencode versehen. Klaus, oder wer auch immer, hat einfach nur die Fotos bis zum Anschlag vergrößert und in
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