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Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)

Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)

Titel: Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg S. Gustmann
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dem nichts passieren könnte.

Kapitel 17
    Juni 2011, Hamburg

    Lorenz starrte in die Tasse, in der noch der Rest der tiefschwarzen, ungenießbaren Brühe ihrem Erkalten harrte. Die Oberfläche spiegelte glatt, unbeweglich, sodass er sich darin sehen konnte. Die Falten um die Augen, den schiefen Mundwinkel, aus dem er alle vier, fünf Minuten den Speichel abwischen musste. Eigentlich sollte Lorenz keinen Kaffee mehr trinken, es schade seinem Herzen. Er müsse an seine Gesundheit denken und er solle sich auf keinen Fall aufregen – dies könnte sein Ende bedeuten. Die Worte der Ärzte hallten in seinem dreiundsechzigjährigen Kopf nach. Was wissen schon die Ärzte? Scheiß auf die Ärzte, dann geh ich eben drauf. Was hab ich denn noch vom Leben? Ein gehbehinderter, sabbernder Krüppel, den man duldet, weil man nicht anders kann. ’n Beamter eben, den man so kurz vor der Pension nicht rausschmeißt.
    Lorenz stützte den von depressiven Attacken geplagten Kopf auf beiden Händen auf. Noch immer ruhte sein Blick auf der schwarzen Spiegelfläche, in der er sich verlor. Niemand nimmt mich mehr ernst und selbst Pohlmann will nichts mit mir zu tun haben. Und das nach über zwanzig Jahren. Heute werde ich mit ihm reden, entschloss er sich.
    Konrad Lorenz hob den Kopf. Auch Werner Hartleib hatte die Tasse nur zur Hälfte geleert. Lorenz lächelte schwach. Scheinbar war er nicht der Einzige, der von sich glaubte, etwas Besseres verdient zu haben.
    »Wo ist Pohlmann?« Lorenz rieb den Mundwinkel trocken.
    »Wollte aufs Klo. Ist schon ’ne Weile her. Muss wohl jemanden getroffen haben.«
    Lorenz fuhr sich durchs Gesicht. Mit der rechten Hand hob er den anderen Arm auf den Tisch. Dann sah er Hartleib finster an.
    »Was geht bei euch beiden da ab? Ich merk doch genau, dass ihr Geheimnisse vor mir habt. Pohlmann hat noch nicht ein Wort mit mir geredet.«
    »Was meinen Sie, Chef?«
    »Ach, lassen Sie doch den Chef-Quatsch. Scheiße. Habt ihr Klugscheißer eine Ahnung, wie es mir dabei geht? Ihr tut so, als sei ich gar nicht da. Lasst mich nebenan in meinem Büro versauern, bis ich um fünf wieder nach Hause darf. Und da wartet dann die Nächste, die mich für bescheuert hält. Die blöde Kuh von Krankenschwester. Fährt mir über den Mund, als sei ich schon total verkalkt.«
    Lorenz’ Worte waren nur mit großer Mühe und Konzentration zu verstehen. Nur wer ihn und seinen breiten Hamburger Slang von früher kannte, begriff, was er sagen wollte. Seit vier Wochen saß er wieder auf seinem alten Platz, in seinem Büro, in dem er damals vom Stuhl gerutscht war, die Pillendose und der Nitrolingualspray außerhalb seiner Reichweite auf dem Boden verteilt, als Werner Hartleib ihn fand und sofort den Notarzt rief. Nach dem Herzinfarkt folgte der Schlaganfall mit halbseitiger Lähmung. Nur knapp war er dem Tod entkommen. Das volle Programm für den rauchenden und sich ausschließlich von Kantinen-Fast-Food ernährenden Chef der Mordkommission. Nach der Reha hielt man es für das Beste, seine Gesundung durch ein abgespecktes Wiedereingliederungsprogramm zu fördern. Zu Beginn nur wenige Stunden am Arbeitsplatz, leichtere Arbeiten, fern jeder Realität seines alten Dienstplanes.
    Tatsächlich machte Lorenz gute Fortschritte, in der Hoffnung, eine vollständige Rehabilitation zu erleben und zwar nicht nur in Bezug auf seine Schaffenskraft, sondern vor allem auf seine Akzeptanz unter den Kollegen. Die anfängliche Euphorie begann in die Perspektive der Aussichtslosigkeit umzuschlagen. Mit jedem Tag wuchs in ihm der Unmut und gipfelte in den letzten Tagen, als er von Werner Hartleib und Martin Pohlmann offensichtlich geschnitten wurde. Wo man hinter vorgehaltener Hand tuschelte, ob es nicht besser sei, einen Nachfolger für Lorenz zu suchen. All sein Frust entlud sich nun in dieser Runde der kaffeetrinkenden Trauergäste. Ohnehin hasste er Beerdigungen und Friedhöfe. Sie erinnerten ihn an sein eigenes Ende, das ihm möglicherweise wie eine zerzauste streunende Katze auflauerte, um ihn im ungeeigneten Moment anzuspringen. Es graute ihm davor, auch bald dort zu liegen, mit auf dem Bauch gefalteten Händen, in einer dunklen Holzkiste, auf die nach salbungsvollen Worten kleine Häufchen Erde geschippt wurden. »Also, Werner. Was ist los? Wollt ihr mich verarschen oder gebt ihr dem alten Sack noch eine Chance?«
    Werner raufte sich die nicht mehr vorhandenen Haare. Eine Bewegung, die noch von früher in seinem somatischen Gedächtnis festklebte.

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