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Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)

Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)

Titel: Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg S. Gustmann
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Natürlich könnte man Lorenz einweihen, überlegte er, doch was, wenn er sich aufregen würde? Was, wenn er ein zweites Mal den Stuhl runterrutschen, sich ans Herz fassen und vielleicht nun endgültig den Löffel abgeben würde? Und das inmitten einer Runde von Menschen, die einen frisch verstorbenen Polizisten betrauerten.
    »Es ist nicht so, wie Sie denken, Chef. Martin war nur kurz im Präsidium, um mir was zu geben. Hat nichts mit Ihnen zu tun.«
    »Nee, klar. Es hat überhaupt gar nichts mehr mit mir zu tun. Ihr wollt mich doch alle nur an der Nase herumführen.«
    »Regen Sie sich nicht auf, Chef. Die Ärzte …«
    »Mensch, Werner! Hör doch auf mit den Ärzten. Kann einer von denen in die Zukunft sehen? Nein! Niemand kann das. Das macht doch keinen Sinn. Dann kann ich doch gleich morgen abkratzen, wenn keiner mich mehr braucht.«
    Lorenz senkte den Kopf, umfasste die kalte Tasse.
    »Ich will wieder dabei sein. Ich will von euch ernst genommen werden. Ich bin immer noch der Alte.«
    Ein feiner Tränenschleier überzog Lorenz’ Pupillen. Vermutlich nur Auswirkungen der trockenen Kneipenluft.
    Werners Blick lag ruhig auf der Erscheinung, die ihm dort gegenübersaß. Viel Wahres war soeben gesagt worden und Werner musste sich eingestehen, dass es Menschen gab, die deutlich größere Probleme hatten als er selbst gerade. Und dass vermutlich das Gerede von maximaler Schonung bei Lorenz genau das Gegenteil bewirkte. Diese Form der psychologischen Integrationstaktik schien nicht aufzugehen.
    »Na schön«, entgegnete Werner. Er schwankte noch, ob und wie weit er Lorenz involvieren sollte. Man wusste immer erst hinterher, ob man einen Fehler gemacht hatte. Er beschloss, das Risiko einzugehen.
    »Okay, am besten, ich fang mal chronologisch an.«
    In der nächsten Viertelstunde erzählte Werner Lorenz alles haarklein über den Daten-Chip, den Brief, den Klaus Schöller Martin durch den Fahrradkurier hatte zukommen lassen, und über seinen genauen Inhalt. Über die ernsten Vermutungen, dass Klaus nicht einfach so in die Alster gestürzt war und dass der Pathologe Martin inzwischen das Ergebnis der Lungenpunktion mitgeteilt haben müsste und dass er darauf brennen würde, davon zu erfahren, wenn Martin endlich mal vom Klo käme.

    *

    Der Mann, der sich im schummerigen Gang zu den Toiletten Martin gegenüber aufbaute, hatte das Aussehen eines gestandenen Kollegen, gutmütig wirkend, souverän und altgedient, doch etwas an ihm passte nicht zu diesem Outfit. Martin hatte nur wenige Sekunden Zeit, um zu überlegen, was es war. War es eine gewisse Unruhe in diesen viel jünger wirkenden Augen? Die feinen roten Äderchen unter den braunen Pupillen, die die Bindehaut wie Spinnenweben durchzogen. War es die Hibbeligkeit, die nicht zu einem gesetzten Mann passte, die Fingerspitzen der linken Hand, die unaufhörlich zitterten und aneinanderrieben?
    Martins Sinne waren geschärft und er behielt die rechte Hand, die der Kollege langsam aus der Tasche nahm, im Auge. Dicht vor Martin blieb der Mann stehen, griff mit der rechten Hand in die linke Innentasche und zog eine gefaltete Zeitung hervor. Martin atmete erleichtert aus. Kein Messer, keine Waffe. Nur seine in den letzten Tagen zunehmende Paranoia.
    »Hallo, Martin.«
    Pohlmann stutzte verwundert.
    »Kennen wir uns?«
    Eine tiefe, sonore Stimme, die er noch nie gehört hatte. Martin lächelte gequält.
    Der Mann ihm gegenüber wechselte zu einem französischen Dialekt und erhöhte die Tonlage um zwei Oktaven.
    »Natürlich kennen wir uns. Ich bin es, Ihr Freund Jerome.«
    Martin trat einen Schritt zurück und taxierte den Mann, der sich Jerome nannte, von Kopf bis Fuß, wie bei einem Gemälde, das erst aus der Ferne in seiner Ganzheit wahrgenommen wurde. Jetzt erst fiel ihm dieser unstete Blick wieder ein, das einzige Detail an dieser Figur, an das er sich erinnern konnte. Der Rest war eine perfekte Blendung, eine Verkleidung, die ihn wie genau jenen aussehen ließ, den er darstellen wollte.
    »Mensch, Jerome. Sind Sie wahnsinnig? Hier sind zweihundert Polizisten in diesem Raum und Sie trauen sich hierher?«
    »Wenn ich Sie täuschen konnte, kann ich es bei den anderen auch. Übrigens, hier sind nicht nur Freunde anwesend. Ich nehme an, das haben Sie sich schon gedacht.«
    »Was heißt das?«
    »Na, ist doch klar. Ich bin nicht der Einzige, der eine Maske trägt. Und damit meine ich nicht Schminke und diesen Mist. Einigen Typen da drinnen möchten Sie mit Sicherheit nicht im

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