Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Es kann nur schiefgehen für mich. Du bist fein raus. Sitzt in Lüneburg und schiebst ’ne ruhige Kugel. Aber ich? Ich sitz hier auf heißen Kohlen. Muss den Mord am Verteidigungsminister aufklären. Schon allein damit fühle ich mich restlos überfordert und jetzt soll ich zu allem Überfluss noch einen Mann ans Messer liefern, dem ich jeden zweiten Tag über den Weg laufe. Wie stellst du dir das denn vor?«
Werners Stimme wurde unter Alkoholeinfluss unbeabsichtigt lauter. Erste Köpfe wandten sich zu ihm um.
»Mann, sei still. Reg dich nicht auf. Iss weiter.« Werner nahm erneut das Besteck zur Hand und stopfte sich einen Bissen in den Mund, von dem er nicht realisierte, was es war. Der Appetit war ihm vergangen. Dafür bekam nun Martin Hunger, dessen Teller noch gänzlich unangetastet war. Der Duft des Kebap stieg ihm in die Nase. Schweigend und essend saßen sie sich gegenüber und grübelten. Beide hatten auf ihre Weise Recht und doch gab es keinen Ausweg aus diesem Dilemma. Sie hassten Ungerechtigkeit und fühlten sich der Wahrheit gegenüber verpflichtet. Selbst wenn Korruption und Ellenbogengehabe mehr und mehr in die Etagen der Staatsmacht Einzug hielt wie hungrige Milben in frische Daunen, so hatten sie sich geschworen, sich dem Zeitgeist zu widersetzen und die Fahne hoch zu halten, komme, was da wolle. Korruption und Feigheit hielten sie für das Letzte, dem sie verfallen wollten. Und gerade die Feigheit war es, die sich Werners still und heimlich bemächtigte, ohne sich als solche zu erkennen zu geben. Sie nannte sich Vorsicht und Verantwortungsgefühl, Rücksichtnahme auf die Familie und Sicherheitsbedürfnis. Doch ungetarnt war es schlichte Feigheit.
Noch kauend kam Martin ein verwegener Einwand in den Sinn.
»Wer sagt uns denn, dass Schöller einer der Guten ist? Vielleicht ist er ja gar nicht als Spitzel für den BND tätig. Vielleicht ist er ja – was mich persönlich nicht wundern würde – einer der bösen Jungs. Vielleicht ist dieses Foto ein Beweis dafür, dass er vom BND überwacht wird?«
»Meinst du nicht, dass du mit deiner Paranoia übertreibst? Würde er beschattet werden, gäbe es wohl kaum offizielle Fotos, auf denen alle gemeinsam drauf zu sehen sind. Schöller ist Polizeipräsident!«
Werner hob die Brauen und betonte diese Aussage so, als wäre es ein undenkbarer Frevel, dem Alten Derartiges anlasten zu wollen.
»Seine Akten sind sauber, ich habe nichts in der Presse der letzten zehn Jahre gefunden, und wenn sein Vater ein Nazi war, muss das nicht zwangsläufig auf ihn abgefärbt haben.«
»Ich seh’ schon. Du hast schon wieder deine rosarote Brille auf der Nase. Siehst nur das, was du sehen willst.«
Werner ließ das Besteck auf den leeren Teller poltern. Das zweite Bier forderte seinen Tribut. Er wurde aggressiv.
»Ist dir mal aufgefallen, dass wir uns in der letzten Zeit nur zoffen?«
Martin lehnte sich zu Werner über den Tisch vor.
»Ist dir mal aufgefallen, wie inkonsequent du bist? Erst ein Angriff, dann ein Rückzug auf der ganzen Linie. Ich war derjenige, der Bedenken hatte, ich mische mich hier in Dinge ein, die mich nichts angehen, zu denen ich nicht im Entferntesten autorisiert bin.«
»Okay, abgemacht. Dann lassen wir eben das Ganze. Soll es uns einen Scheiß interessieren, wie Schöller abgesoffen ist und was der Alte macht. Wir können die Welt sowieso nicht retten.«
Eine lange Pause entstand, in der der Rauch zur Decke trieb. Beide schwiegen, sahen sich im Lokal um, in die Gesichter der verwunderten Studenten, bis ihre Blicke sich trafen und sie nicht anders konnten, als laut loszulachen. Sie hoben die Gläser und prosteten sich zu. Sie kannten sich seit über zwanzig Jahren, waren durch dick und dünn gegangen und es war nicht das erste Mal gewesen, dass sie verschiedener Meinung waren.
Martin begann als Erster wieder das normale Gespräch.
»Jerome hat mich heute Nachmittag angerufen, kurz nachdem du aufgelegt hattest.«
Werner wischte den bitteren Schaum vom Mund ab und wartete.
»Er will sich mit mir treffen. Holt mich morgen in Lüneburg ab.«
»Du kennst den Typen doch gar nicht.«
Martin nahm die dünne Akte in die Hand und ließ sie sogleich zurückfallen.
»Ich kann mir doch mal anhören, was er zu erzählen hat. Im schlimmsten Fall hat der Kerl nur eine große Klappe. Im besten Fall liefert er mir brisantes Material aus seiner Recherche als Journalist.«
»Das hat er dir erzählt? Er sei Journalist?«
»Gewesen. Hat investigativen
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