Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
was.« Werner klatschte mit der flachen Hand auf die Akte. »Er hat ja auch nichts zu verlieren, der arme Kerl.«
Martin faltete die Hände wie zum Gebet auf dem Tisch. Der kleine Finger an der rechten Hand stand ab dem Gelenk in der Mitte in einem Dreißig-Grad-Winkel ab, als zeige er auf die Person am Nachbartisch.
Er nahm die Papiere zur Hand und blätterte darin. Schnell erfasste er den Inhalt, den sie schon kannten. Geboren wann…, wo…, Kind von…, zur Schule gegangen in…, studiert in… Dann wurde es intimer, Einträge persönlicher Natur. Schrille sexuelle Vorlieben in jüngeren Jahren, wilde Partys, Neigung zur Gewalttätigkeit bei Trunkenheit und auch sonst, Hang zur Überheblichkeit bis hin zu gesteigerter Arroganz, pathologisch verzerrter Ehrgeiz, habgierig, neidisch auf andere, die mehr hatten als er. Die Liste des Unangenehmen, das sich perfekt hinter der makellosen Fassade verbarg, ließ sich abendfüllend weiterführen, doch Martin legte die Akte neben sich auf den Tisch zurück.
»Wäre ja wohl zu einfach, bei einer simplen Recherche die Zugehörigkeit zu einer verbotenen Verschwörungsclique aufzudecken. Was hier drin steht, wussten wir schon. Und dass sein Vater ein Top-Nazi mit Kontakten nach ganz oben war, wissen wir auch seit ein paar Monaten. Scheint aber niemanden in der Chefetage zu stören.«
»Ab einer bestimmten Summe hält jeder den Mund, weißt du doch.«
»Du hast am Telefon gesagt, es gäbe da eine Kleinigkeit, die du mir erzählen wolltest.«
Werner wischte den bernsteinfarbenen Schaum vom Mund.
»Ach ja. Stimmt. Ich hab Fotos in der Schublade von Klaus’ altem Schreibtisch gefunden. Genauer gesagt, darunter geklebt.«
»Bitte? Das erzählst du so beiläufig? Was für Fotos?«
»Warte.« Werner zog einen DIN-langen Umschlag aus der anderen Jackentasche. »Fotos von seinem Vater. Profifotos, mit Tele gemacht.«
»Zeig her.«
Werner reichte Martin den Umschlag mit den Bildern. Sie schienen aus größerer Entfernung aufgenommen worden zu sein. Man erkannte Reinhard Schöller deutlich. Das markante, adlerkantige Gesicht, das typische Kinn mit dem Grübchen, in dem die Barthaare schlecht zu entfernen waren, der kahle Kopf. Schlank, drahtig, verbissen. Er trug einen Jogginganzug und ein Handtuch lag um seine Schultern. Er befand sich im Gespräch mit zwei Männern in dunklen Anzügen. Einfache Einreiher, nichts Besonderes. Staatlich finanzierte Klamotten.
»Wer sind die Typen?«
»Tja, das war nicht einfach. Ich hab einen Abgleich mit der Datei gemacht. Keine Gangster, obwohl sie so aussehen. Jedenfalls nicht offiziell.« Werner nahm einen Schluck. Sein Blick wurde zunehmend glasiger. Das Essen wurde auf den Tisch gestellt und Werner nahm das Besteck zur Hand.
Es schien, als hätte er vergessen, weitersprechen zu wollen.
»Also? Wer ist es?«
»BND«, nuschelte Werner und ließ einen Brocken Fleisch über die Zunge zur anderen Seite rollen.
»Bundes-Nachrichten-Dienst? Kannst du mal in ganzen Sätzen reden?«
»Hab ich von dir gelernt.«
»Ach, du bist ja betrunken.«
»Bisschen. Stimmt. Ist aber schön. Endlich mal wieder.«
»Komm. Jetzt lass dir nicht alles aus der Nase ziehen. Wer sind diese Typen?«
Werner legte das Besteck zur Seite.
»Na schön. Einen von den beiden kenn ich. Das hier ist Ernst Bladeck.« Werner deutete mit der Messerspitze auf den Mann zur Linken von Schöller. »Bladeck war maßgeblich daran beteiligt, nach Südamerika ausgewanderte SS- Leute ausfindig zu machen und sie für den BND zu gewinnen. ›Kooperation oder Auslieferung‹ hieß die Parole.«
»Ich fass es nicht. Wir sitzen hier seit einer halben Stunde und trinken Bier und erst jetzt lässt du so eine Katze aus dem Sack. Was heißt das jetzt? Schöller ist ein Spitzel für den BND oder was?«
Werner zuckte mit den Schultern. »Nun iss doch mal. Wird ja ganz kalt.«
»Was ist los mit dir, Werner? Du kannst doch nicht so tun, als ließe dich das kalt. Du warst derjenige, der mich heiß gemacht hat, und jetzt …«
Werner tupfte sich die Soße aus dem Mundwinkel und sah sich zu den anderen Tischen um. Oberflächliche Gespräche von Studenten, sich an den Händen haltende Liebespärchen, Sorgen wegen der nächsten Klausuren, das Examen vielleicht. Nichts gegen die Tiefe und Schwere der Thematik, die Martin und Werner zwischen sich hin und her schoben.
»Ich habe es dir schon gesagt. Ich habe eigentlich keinen Bock auf den Fall. Ja, vielleicht hab ich meine Meinung geändert.
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