Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Perspektive für die nächsten Jahre, die nächsten Monate, die nächsten Tage. Es fehlte an Liebe, an Frieden, an innerem Reichtum, nur nicht an Geld. Geld war noch nie ein Problem gewesen im Hause Schöller, durch alle Generationen hinweg.
Mit letzten Korrekturen knüpfte er den Binder, passend zum hanseatischen Hemd, als ihm seine Frau gegenübertrat. Sie torkelte nach dem dritten Glas Gin.
»Was bist du doch für ein mieses Schwein«, empfing sie ihn am Treppenabsatz. »Der Körper deines Sohnes ist noch nicht erkaltet und du tust so, als sei alles in bester Ordnung. Gehst schwimmen, machst Wellness.«
Reinhard wandte sich ab, wischte sich einen Tropfen Speichel seiner Frau aus dem Gesicht und betrachtete sie voller Ekel.
»Seit wann so theatralisch? Passt gar nicht zu dir.«
»Du bist ein mieses Schwein«, wiederholte sie. »Du bist schuld an seinem Tod. Kannst du damit leben?« Schwankend hob sie das Glas an den Mund. Es war leer, sie merkte es zu spät.
»Meine Güte. Schon wieder besoffen? Um elf am Samstag? Das ist ja widerlich.«
»Du bist widerlich!«, schrie sie ihn an, verlor für einen Augenblick die Balance, richtete sich wieder auf und schenkte sich nach. Sie schüttelte den Kopf, sah in die klare Flüssigkeit hinein, spiegelte sich darin und wich entsetzt vor der verhärmten Fratze zurück. Sie warf das volle Glas auf den Boden. Heulend brach sie zusammen und kauerte sich neben die Scherben. Eine ritzte ihr den Unterarm auf, sie spürte es kaum. Ein dumpfer Schnitt, leider zu hoch über der Vene. Blut trat in nicht nennenswerter Menge heraus. Zu sterben wäre ihr willkommen gewesen.
Reinhard ging ein paar Schritte auf sie zu und zog sie am Arm. Eine kurze Regung des Mitleids.
»Lass mich, du Scheißkerl. Warum haben sie nicht dich erwischt? Du hättest es wenigstens verdient«, lallte und heulte sie. »Wenn ich einen von deinen sogenannten Freunden treffe, erzähle ich es ihnen. Ich werd’ ihnen alles erzählen. Die ganze Scheiße, die du in deinem Leben verbockt hast.« Sie ließ sich gänzlich auf den Boden sacken und ihren Tränen freien Lauf. Etikette hatte keine Relevanz mehr für sie. Das war vorbei. Äußerlichkeiten hatten ihre Bedeutung verloren. Ihre blonden Haare, am Ansatz grau, wirr zum Boden hängend, fettig, vernachlässigt. Die Zähne überkront, ungeputzt. Der Lidstrich alt, schief und vom Heulen verlaufen.
»Sie würden dir nicht glauben. Du bist eine Säuferin. Dir glaubt kein Mensch.«
»Und wenn doch? Was dann? Dann bringen sie dich um. Und ich bin endlich frei«, fügte sie lachend hinzu. Ein Lachen, in Verzweiflung aus der Kehle gepresst.
Reinhard wandte sich zu seiner Frau um und riss sie an einem Arm herum. Es knirschte unter ihren Füßen. Er kümmerte sich nicht darum.
»Was weißt du schon?«, rief er. »Du weißt gar nichts. Hast du dich je gefragt, wieso ein Bulle im gehobenen Dienst so viel Geld verdienen kann?« Schöllers Arm wirbelte herum. Er deutete auf all den unnützen Reichtum, den sie gehortet hatten: Echte Gemälde mit sechsstelligem Wert, eine Vitrine mit edelsten Gläsern, persische Teppiche, eine chinesische Vase. »Was denkst du denn, wo das alles herkommt? Von meinem Beamtengehalt bestimmt nicht. Du warst es doch immer! Du warst doch immer unersättlich. Kriegtest den Hals nicht voll.« Reinhard wischte sich den Mundwinkel trocken. »Nerze, Pelze, Schmuck, Reisen. Hab ich dir nicht alles beschafft, was du wolltest? Du bist mindestens genau so viel schuld an Klaus’ Tod wie ich. Hör endlich auf, mir alles in die Schuhe zu schieben.« Seine Worte klangen wimmernd, verzweifelt. Dann beruhigte er sich, sprach leiser, desillusioniert. »Es ist, wie es ist, und es ist nicht mehr zu ändern.«
»Ja, mach nur so weiter. Wälz alles auf mich ab. So wie immer. Du bist eine Flasche, Reinhard, und ich bereue es, bei dir geblieben zu sein. Du mit deinen ekelhaften Weibern, deinen Partys, deinen tollen Freunden . Das sind schon lange nicht mehr deine Freunde, du Blödmann. Wann kapierst du das endlich? Dich kriegen sie auch, das garantiere ich dir.«
»Ach, halt doch die Klappe. Sieh dich doch an. Du bist schon halb tot.«
Gerlinde Schöller riss die Hand mit dem neuen Glas empor. Sie verschüttete den Gin. Mit dem Glas in der Hand deutete sie auf ihren Mann. »Ja, durch dich. Was kann man anderes machen, als sich volllaufen zu lassen, wenn man so einen Scheißkerl zum Mann hat?«
»Bist du jetzt fertig? Steh auf und mach den Dreck weg. Sieh dir
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