Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
recht. Sie haben nachgelassen. Früher waren Sie nicht so zimperlich. Er hat doch eine Frau, oder?«
»Verlobte, glaub ich.«
»Na also. Geht doch. Dann wissen Sie doch, was Sie zu tun haben.«
Schöller schwieg.
»Und versauen Sie es nicht. Ihren Sohn hatten Sie auch nicht im Griff. Keine Fehler mehr, verstanden? Die Vorbereitungen für das nächste Meeting laufen auf Hochtouren. Keine Mätzchen mehr auf die letzten Tage.«
Der Anrufer legte auf.
Schöller schluckte schwer und sah seiner Frau dabei zu, wie sie die Scherben ihres Glases zusammenkehrte. Sie schwankte und fluchte, weinte und fluchte wieder. Der Gärtner schob die Karre in Richtung der Terrasse, abgehackte Bewegungen, bizarr, wie im Zeitlupentempo. Zeitschindend.
»Ich muss weg.«
»War’n die das? Jetzt haben sie dich am Arsch. Ich hab’s dir gesagt.« Die hagere Frau hielt sich am Schrank fest. Bräunliche Blutflecken leuchteten auf ihrem gelben Kleid wie welke Blumen. Sie schnaufte, außer Atem, wie nach großer Anstrengung. »Ja, ja, geh nur. Hau bloß ab. Und komm nicht wieder.«
»Das hättest du wohl gerne. Den Gefallen kann ich dir noch nicht tun, vielleicht bald, aber jetzt noch nicht.«
Kapitel 21
Juni 2011, Hamburg
Jerome verteilte eine Linie weißen Pulvers auf dem Tisch, rollte einen Zehn-Euro-Schein zusammen und zog die erste Hälfte des gestreckten Kokains in ein Nasenloch. Er legte den Kopf zurück, lachte feixend und nahm gleich danach die zweite Hälfte in Angriff. Er ließ sich auf den Stuhl fallen, wischte sich die schniefende Nase ab und wartete auf den Eintritt der Wirkung. Warmes Blut lief aus einem Nasenloch die Lippe hinunter. Jerome öffnete den Mund, streckte die Zunge ein wenig heraus und nahm das Blut auf. Immer öfter in letzter Zeit platzten kleine Äderchen in der Nase. Ein Preis, den er gern bereit war zu zahlen.
Gestärkt und willens, den Kampf gegen das Universum aufzunehmen, wendete er sich seinen Monitoren zu. Es war Ende Mai, die Zeit, in der sich viele Kleinanleger getreu dem Motto ›Sell in May‹ von ihren Aktienpaketen trennten, dem irrigen Aberglauben verfallen, ihr Hab und Gut in dem Monat erwachender Blümchen nicht verlieren zu können. Die Kurse brachen ein, für Jerome die Zeit, gute Unternehmen zu Tiefstkursen einzusammeln. Er lebte von der emotionalen Volatilität des Marktes. Seit Wochen beobachtete er verschiedene Firmen auf seiner Watchlist, die er unter dem Namen Marcel Duchamp angemeldet hatte. Schwieriger verhielt es sich mit dem Depot, das er unter diesem Namen seinerzeit anmelden wollte. Er musste das Konto bei der Post mit einer Identitätsprüfung unter Vorlage eines gefälschten Personalausweises beantragen. Ein Franzose, der in Deutschland ansässig war und dort zwei Konten besaß, nichts Ungewöhnliches für den Sachbearbeiter. Jerome hatte den Eigentümer des Personalausweises auf dem Flughafen getroffen. Ein unbeholfener, tollpatschiger Bibliothekar, der seinen Ausweis bis zum Check-in in der Brusttasche verwahrte. Viele Passagiere taten dies, manche schon, während sie noch mit ihren Koffern in der Schlange vor dem Schalter warteten. Ticket und Personalausweis für jeden griffbereit. Dies erleichterte die Arbeit für Jerome deutlich, weil er nicht erst einen Billigflug buchen musste, um in den inneren Bereich kommen zu können. Ein kleiner Rempler, eine schnelle Entschuldigung und schon war er wieder weg. Der Passagier konnte allerdings seinen Flug nicht antreten. Pech. Doch dies war sein geringeres Problem.
Marcels Gesicht war aufgedunsener als sein eigenes und die Brille störte. Ihm gefiel der Name jedoch so gut, dass er diese Kleinigkeiten in Kauf nahm. Einige Anpassungen bezüglich biometrischer Daten und die Sache war erledigt: ein überraschend unkomplizierter Änderungsantrag im Computer des Einwohnermeldeamtes und des Polizeicomputers zur Ausstellung eines polizeilichen Führungszeugnisses. Die Post lagerte er in einem zentralen Postfach, mit der Begründung, als Geschäftsmann wechselnde Aufenthaltsorte zu pflegen. Ein Mann, der es verstand zu leben, zu reisen und zu betrügen, nur dass niemand Letzteres bemerkte. Fälschen ließ sich alles, sofern man über Kontakte, das handwerkliche Geschick und gewisse Kenntnisse in Sachen vernetzter Computer verfügte.
Marcel Duchamp loggte sich in sein Depot ein, betrachtete sein noch vorhandenes Vermögen, bezeichnet als ›Buying Power‹, und kaufte sieben Werte, von denen er zuversichtlich erwartete, dass sie schon
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