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Schattenmelodie

Schattenmelodie

Titel: Schattenmelodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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Strumpfhosen, Mantel und Pullover aus, versteckte alles in einem Baumstumpf und machte mich barfuß, mit Shirt und Rock bekleidet, auf den Weg zum See und den Undinen.
    Hinter jeder Biegung rechnete ich damit, dass sich der Wald auftat und den Blick auf die dahinterliegende blütenbedeckte Oberfläche freigab. Aber es passierte einfach nicht. Stattdessen schlängelte sich der Weg immer weiter. Diesmal schienen seine Abschnitte unzählige Male kopiert und aneinandergereiht worden zu sein. Ich konzentrierte mich und versuchte zu erspüren, ob irgendjemand in der Nähe war. Aber da war niemand.
    Jetzt wäre ein Handy praktisch gewesen. Was das anbelangte, war die magische Welt, bis auf die Lesegeräte und den einzigen Computer bei Pio, mit dem Mittelalter vergleichbar. Einzig die Ratsmitglieder verfügten über zusätzliche Möglichkeiten, um miteinander zu kommunizieren.
    Schnell meldete sich meine Erschöpfung doch wieder. Trotzdem setzte ich entschlossen einen Fuß vor den anderen.
    Die Dunkelheit begann aus allen Nischen und Ritzen zu kriechen. Am Himmel zeigten sich die ersten Sterne. Bestimmt war ich jetzt schon zwei Stunden im magischen Wald unterwegs. Mehrmals hatte ich überlegt, einfach zurückzugehen, aber es dann doch nicht gewagt. Der See musste doch bald in Sicht kommen oder stattdessen das Tal mit den Häuschen oder die Akademie.
    Dann endlich glitzerte das Wasser zwischen den Bäumen hindurch. Über den Baumwipfeln am Ufer erhob sich der große, silberne Mond. Ich hockte mich ans Wasser, benetzte mein Gesicht und trank etwas. An dem alten Baum, wo die Undinen normalerweise die Neuankömmlinge hinbrachten und ablegten, befand sich niemand.
    Ich stieß jenen singenden Pfeifton aus, der die Undinen rief, und nur einige Augenblicke später schwamm eine von ihnen heran, entstieg dem Wasser und blieb zwei Meter vor mir stehen. Ihr weißes Haar floss über ihre makellose Gestalt bis zu den Waden. Im Mondlicht sah sie aus, als wenn sie komplett aus Silber wäre. Leider hatte sie keine guten Nachrichten. Kein Neuankömmling hatte die letzten Stunden einen Durchgang passiert, weder den durch die Spree noch den durch den unterirdischen See im Humboldthain.
    Ich sah, wie die Undine wieder abtauchte und in die Tiefen glitt wie ein glänzender Schatten. Ich fühlte mich niedergeschlagen und machte mich auf den Weg zum Turmhaus. Normalerweise lag es nur einige Minuten vom magischen See entfernt. Ein Waldweg, gesäumt von Blumen, führte direkt bis vor meine Tür. Doch erneut zog sich der Weg in die Länge. Ich lief und lief, aber es war kein Ende abzusehen.
    Inzwischen lag der Wald in völliger Dunkelheit. Nur das Licht in meinen Augen zeichnete einen Kreis mit einem Radius von etwa einem Meter vor mich, sodass ich dennoch etwas sehen konnte. Ich vernahm nur meine eigenen Schritte. Ansonsten herrschte vollkommene Stille. Langsam verließen mich meine Kräfte und ich lehnte mich einen Moment gegen einen Baumstamm. Da hörte ich das Plätschern des kleinen Baches, der hinter meinem Haus verlief. Gut, jetzt durfte es nicht mehr weit sein. Die paar Meter würde ich noch schaffen.
    Ich entschied, den gewohnten Weg zu verlassen, weil die Gefahr bestand, dass er mich wieder in die Irre führte, und folgte dem Plätschern. Das Flüsschen tauchte vor mir auf. Es war hier breiter, als gewohnt. Laut meiner Orientierung musste ich ihm nur nach links folgen und bald würde mein Haus in Sicht kommen.
    Aber da hatte ich mich getäuscht. Der Flusslauf führte mich stattdessen immer tiefer in den Wald. Ich merkte, wie Angst an mir hochkroch. War das etwa ein anderer Fluss? Ein Seitenarm, den ich noch nicht kannte? Wieder versuchte ich zu erspüren, ob jemand in meiner Nähe war, ich die Gedanken oder Gefühle eines Wesens wahrnehmen konnte. Aber nichts. Dass ich stundenlang niemanden auf diese Weise erreichen konnte, musste mit den Verschiebungen zu tun haben.
    Ich hatte völlig die Orientierung verloren. Das war mir in der magischen Welt noch nie passiert. Und ich besaß keine Kraft mehr weiterzugehen. Es half nichts. Ich musste eine kleine Pause einlegen und mich ein wenig ausruhen.
    Der Fluss floss an dieser Stelle an einem Mooshügel entlang. Ich beschloss, einige Schritte hinaufzusteigen und mich im Schutze des großen Findlings den ich jetzt ausmachte, hinzusetzen. Den letzten Meter kroch ich nur noch. Ich ließ mich in das samtige Moos fallen und lehnte mich an den kühlen Stein. Irgendwoher tönte ein Plätschern wie von einem

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