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Schattenmelodie

Schattenmelodie

Titel: Schattenmelodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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ihrer Hand und ergriff sie.
    „Ist es wie in deinem Traum?“, fragte ich noch einmal und sie nickte wieder.
    „Gut, dann halte dich jetzt einfach an mich. Du brauchst keine Angst zu haben. Glaub mir. Wir müssen nach da vorne.“
    Ich zeigte in die Richtung, wo das Dach auf einem Meter Breite kein Geländer besaß und zog an Gretes Hand. Aber Grete bewegte sich keinen Millimeter.
    „Du musst es mir vormachen!“, stieß sie hervor und sah mich flehend mit großen Augen an. „Bitte!“
    „Nein, wir halten uns an den Händen und springen zusammen. Du wirst sehen, es ist …“
    „NEIN!“, brauste sie auf und entzog mir ihre Hand. „Ich muss es erst sehen. Ich muss sehen, dass es stimmt, dass ich nicht abstürze. Dass du mich nicht umbringst!“
    Grete war ein ziemlich harter Brocken, und ich wusste inzwischen, dass es ihr guttat, wenn man einen etwas raueren Ton anschlug.
    „Vorhin hast du noch mit deinem bevorstehenden Tod angegeben und jetzt plötzlich Schiss?“
    „Mach es mir vor! Los! Damit ich weiß, dass du mich nicht die ganze Zeit anlügst!“ Grete schrie mich an, Tränen liefen ihr übers Gesicht.
    Ich blieb ruhig, beinahe kalt. „Ob ich es vormache oder nicht, du wirst springen, weil dich dein Innerstes dazu zwingt, weil du nicht anders kannst, weil du musst!“, erklärte ich.
    In Wirklichkeit war ich mir dessen nicht sicher. Neve hatte Höhenangst. Natürlich bestand die Gefahr, dass sie es nicht wagte und dann als Verrückte in einer Klapse endete. Vielleicht war es tatsächlich der beste Weg, es ihr vorzumachen. Vielleicht … Und dann dämmerte es mir. Natürlich! Mit großer Wahrscheinlichkeit war ich nicht zufällig hier.
    „Grete?“ Sie drehte sich zu mir. „Hast du auch von mir geträumt?“
    „Ja, hab ich, und zwar, dass du es mir zeigst.“ Sie fixierte mich mit ihren großen blauen Augen.
    Log sie mich an? Aber warum sollte sie? „Okay, ich mach es dir vor. Und danach gehen wir zusammen?“
    „Versprochen.“
    Hoffentlich ließ mich meine Gesundheit jetzt nicht im Stich. Ich lief an den Rand des Daches. Sofort sah ich Lilonda heranschweben.
    ‚Da bist du ja wieder. Ich habe Kira Bescheid gegeben, dass du eine Weile nicht kommst. Ich habe alles so gemacht, wie du es mir aufgetragen hast.’
    „Das ist prima, Lilonda. Ich war krank, weißt du. Und ich hoffe, ich bin schon wieder stark genug für die Reise.“
    ‚Oh, krank sein, das ist nicht gut, habe ich gehört. Ruh dich lieber noch aus.’
    „Nein, ich kann nicht. Die junge Frau da hinten, sie muss durch den Durchgang. Aber sie hat Höhenangst. Würdest du ein bisschen auf uns acht geben?“
    ‚Natürlich, aber ich kann nichts versprechen. Nicht für das fremde Mädchen. Ein Teil von ihr muss mit uns vereinbar sein, sonst gibt es einen Kurzschluss, das weißt du.’
    „Ja, ich weiß. Sie ist eine von uns.“
    Lilonda kicherte und nahm jetzt die Gestalt von Grete an. ‚Kurzschluss, das ist ein lustiges Wort.’ Sie kicherte immer weiter und trollte sich hinauf zum Fernsehturm.
    „Mit wem redest du?“, rief Grete.
    „Mit Lilonda, einem Elementarwesen. Du wirst sie sehen können, sobald du springst. Sie begleitet uns durch den Durchgang.“
    Grete antwortete nichts und starrte zu mir herüber. Ihre langen Haare wehten im Wind.
    „Okay, ich springe jetzt.“
    Ich konzentrierte mich, spürte, wie ich mich auflöste und ließ mich in den Himmel fallen.
    Ich sah, wie Grete sich ans Herz griff, als ich verschwunden war, und ängstlich nach mir rief: „Neve! Neve?“
    „Ich bin hier. Alles ist in Ordnung.“
    Sie sah in die vermeintlich leere Luft.
    „Komm zurück!“, rief sie und es schwang Verzweiflung in ihrer Stimme. Ich ließ mich wieder auf dem Dach nieder und nahm Gestalt an. Grete fuhr sich hektisch durch die Haare.
    „Oh, Mann, wie hast du das gemacht? Es ist also wahr. Es ist …“ Sie richtete sich auf und zitterte am ganzen Leib.
    „Komm, du schaffst das.“
    „Nein, ich …“
    „Komm.“ Ich nahm wieder ihre Hand, aber sie entriss sie mir erneut.
    Dann stand sie auf, drehte sich um, stemmte panisch die Eisentür auf und hastete polternd die Feuertreppe hinunter. Mein erster Impuls war, ihr zu folgen, doch ich überlegte es mir anders. Ihr Drang zu springen würde sie ganz sicher wieder zu mir zurückbringen. Ich brauchte nur ein paar Minuten zu warten.
    Ich lehnte mich gegen die Hauswand, wo es ein wenig windgeschützt war und versuchte, mich zu entspannen. Ich würde Grete hier durchbringen. Heute.

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