Schattenmelodie
Straße entlang. Ich ließ sie einfach an einem weißen, von Palmen umstandenen Strand enden und platzierte ein großes Strandtuch und einen bunten Sonnenschirm genau vor seiner Nase. Auf einmal trug er nur noch Shorts und ein Muskelshirt, legte sich auf das Strandtuch und schloss die Augen. Ich legte mich einfach neben ihn und platzierte meine Hand in der Nähe von seiner.
‚Ist das nicht herrlich?‘, schwärmte ich.
Er hob den Kopf und blinzelte auf das türkisfarbene Meer vor uns. Unsere kleinen Finger berührten sich fast. Warum antwortete er nicht? Warum nahm er nicht meine Hand? Oder sollte ich einfach seine Hand nehmen? Warum sah er mich nicht an?
Endlich begann er, den Kopf langsam in meine Richtung zu drehen. Gleich würde er erkennen, dass ich es war, die neben ihm lag. Gleich … Doch ehe er mir in die Augen sehen konnte, musste ich mich ruckartig aus seinem Kopf zurückziehen, weil ich plötzlich einen unangenehmen Druck im Unterbauch spürte.
Oh je, der Glühwein gestern und heute das Sprudelwasser! Ich sauste aus Toms Wohnung. Im Treppenhaus wurde ich bereits sichtbar. Hatte ich den Wohnungsschlüssel eingesteckt? Ein Segen, ja. Hatte ich.
Das Klo besaß keine Brille und ich spürte die Kälte der Keramik. Und der alte Spülkasten, der über mir an der Decke hing und mit einer langen Strippe zu bedienen war, funktionierte. Ein Glück.
Kapitel 23
Während Charlie die ganze Zeit auf mich einredete, starrte ich auf ihre linke Wade; kurz über dem Knöchel zeichnete sich durch eine schwarze Strumpfhose ein weißer Verband ab.
Wir befanden uns in der leeren Wohnung unter Tom. Charlie hatte hier zwei Kameras installiert, die dauerhaft aufnahmen und eventuelle Ungereimtheiten in den leeren Räumen aufzeichnen sollten. Sie erklärte mir die Technik und bat mich, mich probehalber davorzustellen. Aber ich wiederholte, dass ich eine regelrechte Fotophobie besaß und weder auf ein Bild noch auf ein Video wollte.
Sie hatte heute früh bei mir geklopft und mich gebeten, eine Kamera in meiner Wohnung installieren zu dürfen, aber ich hatte abgelehnt. Dafür hatte sie mir einen Magnetfeldmesser aufgeschwatzt. Na gut, die Dinger spielten zwar völlig verrückt, wenn jemand mit magischen Fähigkeiten in ihre Nähe kam. Aber das Gerät stand jetzt im zweiten Raum, den ich dann eben nicht mehr betreten würde.
Dann hatte sie mich gefragt, ob ich ihr beim Aufstellen weiterer Geräte im ganzen Haus helfen würde. Ohne zu überlegen, hatte ich zugestimmt. So würde ich wissen, wo ihre Kameras und Messgeräte lauerten. Die Anlage auf dem Dachboden war ärgerlich. Sie bedeutete, dass ich mich dort nicht mehr aufhalten konnte, ohne Charlie Messwerte zu liefern, die sie in helle Aufregung versetzen würden.
Abgesehen davon, dass ich aufpassen musste, dadurch nicht in die Mühlen der Wissenschaft zu geraten, konnten mir die Strahlungen einiger Geräte auch körperlich gefährlich werden.
„Neve!“, unterbrach Charlie meine Gedanken. „Ich reiße mir ein Bein aus, um dir dieses Ding hier zu erklären, das die Aura von jeglichen Wesen aufzeichnen kann, und du hörst mir kein bisschen zu.“
Charlie zauberte ein gespieltes Schmollen auf ihr Gesicht. Einen Augenblick später lachte sie wieder, streifte plötzlich ihren Minirock aus dunkelroter Wolle hoch und zog die Strumpfhose an einem Bein herunter.
„Du, du hast da einen Verband“, stotterte ich, so perplex war ich, dass sie sich in einem so kalten Raum die Strumpfhose auszog.
„… den du dauernd anstarrst. Aber guck, es ist überhaupt nichts Schlimmes. Im Gegenteil. Es ist was ganz Tolles. Ich habe mir ein Tattoo stechen lassen!“, erklärte sie stolz.
„Ein Tattoo? Was denn für eins?“
„Ein ganz besonderes natürlich.“ Sie machte sich daran, den Verband zu lösen.
„Nein, lass den Verband dran“, wehrte ich ab. Ich ahnte, was es für ein Motiv war, und wollte es am liebsten nicht wissen.
„Es sieht nicht eklig aus. Außerdem muss ich eh Creme draufmachen. Habe ich gestern Abend glatt vergessen“, versuchte sie mich zu beruhigen.
Charlie setzte sich auf eine leere Reisetasche, in der sie die Gerätschaften hertransportiert hatte, zog eine Tube aus der Seitentasche und löste den Verband ab. Zum Vorschein kam ein halbes Herz, genau so eins, wie Tom hatte.
„Oh“, stieß ich aus.
„Ja, ein bisschen blutig ist es noch, muss noch heilen. Aber das geht schnell … Oder gefällt dir das Herz etwa nicht?“
„Es ist nur … halb“,
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