Schattenmelodie
einfach. Einerseits war ich erleichtert, darin gerade keine Gedanken an Tom vorzufinden. Andererseits war ich natürlich enttäuscht.
Charlie führte einen inneren Monolog. ‚Ich werde es dir beweisen. Jede Minute arbeite ich daran. Und ich werde Erfolg haben. Jawohl!‘ Deshalb war sie gerade so schweigsam. Sie betrieb diese Psi-Forschungen also, weil sie gegen irgendjemanden kämpfte. Wem wollte sie was beweisen?
„Wie bist du eigentlich darauf gekommen, Psi-Phänomene aufzuspüren?“, fragte ich Charlie, während sie ihre Tasche vor der Kellertreppe abwarf und darin herumkramte. Es war genau die richtige Frage.
„Die ist ganz einfach zu beantworten: weil mein Vater das Thema hasst!“
Charlie brachte ein Notizbuch, einen Stift und eine Taschenlampe zutage.
„Weil dein Vater das Thema hasst?“
„Er ist Professor für Physik, und eh du jetzt weiterfragst“, Sie sah mich streng an, „nicht weiter der Rede wert!“
Charlie zog den Reißverschluss der Tasche zu und stieg die Stufen zum Keller hinunter.
„Heut habe ich echt ein gutes Gefühl!“, rief sie aus.
Ich folgte ihr und spürte, wie mir Feuchtigkeit und Moder entgegenstiegen. Die negativen Ausdünstungen der materiellen Welt fanden wieder Zugang zu meinen Sinnen, und es beunruhigte mich.
Im Keller hing bereits ein Monster von einer Kamera. Herrlich provisorisch mit krummen Nägeln verschiedenster Art und Größe an eine Kellertür aus grobem Holz genagelt, genau da, wo das Wasser auf den Beton schwappte.
„Das Ding ist wasserdicht und hat so einiges drauf.“ Sie rüttelte an dem Apparat, bis an der Seite ein kleines Türchen aufging. Charlie zog zwei Bilder in der Größe von Postkarten heraus. Es schien eine Art Sofortbild-Kamera zu sein.
„Wow, ich wusste es! Schau dir das an! Sie hat was fotografiert. Das macht sie nur unter ganz bestimmten Bedingungen.“
Sie schloss den komischen Kasten wieder und eilte aufgeregt hinaus, bis auf den Hof, wo es genug Tageslicht gab. Als ich sie einholte, stand sie dort wie versteinert und starrte mit offenem Mund auf die Bilder.
„So was habe ich zum ersten Mal! Ich hätte beinahe die Geräte nicht leihen können an der Universität. Ich musste den Typen dermaßen überreden …“ Wie Charlie das geschafft hatte, konnte ich mir bildhaft vorstellen. „Und jetzt das! Wow! Hat sich gelohnt“, stieß sie aus.
Ich warf einen Blick auf die beiden Bilder. Im Hintergrund die Steinmauern, das Wasser auf dem Fußboden und ein mit Brettern vernagelter Eingang zu einem Keller, gegenüber der Kamera. Alles schemenhaft dunkel und kaum zu erkennen. Und davor auf dem Fußboden eine weiße Schliere.
„Und? Wie sieht das aus für dich? Nun sag schon!“, drängelte Charlie.
„Irgendwie überbelichtet“, antwortete ich. Aber Charlie hörte gar nicht hin. „Das sieht aus wie ein Lebewesen, nicht wahr?!“ In dem Moment erkannte ich, was sie darin sah.
„Ja, eine Katze. Die kenne ich. Sie ist in Wirklichkeit rot. Ich hab sie hier schon öfter gesehen. Scheinbar gibt es da unten genug Getier, das sie sich fängt.“
Das war nichts Besonderes.
„Ja, es sieht aus wie eine Katze. Aber das kann entweder eine Täuschung sein oder es ist keine gewöhnliche Katze“, flüsterte Charlie feierlich und war todernst dabei.
Ich musste unwillkürlich grinsen, und im nächsten Moment tat es mir leid. Charlie bedachte mich mit einem vernichtenden Blick.
„Ich weiß, was du jetzt denkst: solche überbelichteten Schwachsinnsfotos gibt es im Internet zuhauf. Und sie sind natürlich zum Totlachen. Aber die sind mit gewöhnlichen Kameras gemacht, verstehst du?! Das ist ein Riesenunterschied!“
„Oh, ich wollte doch gar nicht … Ich meine, das ist alles sehr spannend. Natürlich … Und …“
„Ach, vergiss es! Ich muss das jetzt auswerten fahren. Sofort!“
Und schon flitzte sie wieder in den Hausflur, zog eine Mappe mit Folien aus ihrer unergründlichen Reisetasche und tat die Fotos vorsichtig hinein.
„Mach’s gut, Neve, wir sehen uns, ja?! Tschüüühüss!“
Schon war sie weg und das Tor fiel hinter ihr ins Schloss. Jetzt hatte sie wieder überhaupt nicht mehr sauer geklungen. Sie war verrückt, dachte ich, obwohl ich genau das nicht denken wollte. Denn das dachten augenscheinlich alle, besonders ihr Vater.
Nein, Charlie war natürlich nicht verrückt. Aber sie hatte definitiv ein Problem. Nachdenklich stieg ich die Treppen hinauf. Was war das nur für ein seltsames Haus, ein totes Haus voller Leute,
Weitere Kostenlose Bücher