Schattenmelodie
wirklich zu ihm. Irgendwas verbirgt er. Da bin ich mir sicher. Aber wie auch immer, heute ist ihm etwas über die Leber gelaufen, und es war nicht korrekt, wie er dich abgekanzelt hat. Ich habe das beobachtet, und schließlich seid ihr doch Freunde, oder?!“
Janus hatte alles beobachtet. Und ich staunte, was für Schlüsse über Tom er daraus zog.
Endlich fand ich meine Stimme wieder. „Ich bin nicht in Tom verknallt!“
„Aber Hallo! Natürlich bist du das. Mir kannst du nichts vormachen in solchen Dingen.“ Janus lachte mich an. „Es ist dir unangenehm, weil du glaubst, keine Chance bei ihm zu haben, stimmt’s?“
Es stimmte, aber ich merkte in diesem Moment, dass etwas daran auch nicht stimmte. Oder doch?
„Ich werde nie so sein wie Charlie“, sagte ich und ließ ihn damit noch viel mehr in meine Karten gucken. Wie brachte er mich nur dazu?
„Nein, das wirst du nicht. Aber das ist auch gut so. Charlie ist ein völlig anderer Mensch. Fast eine Art Gegenprogramm zu dir.“
„Sie ist eine laute Schnepfe“, antwortete ich und biss mir sofort auf die Zunge. Eigentlich sprach ich sonst nie so über Leute. So etwas Dummes brachten nur niedere Gefühle wie Eifersucht hervor. Und Eifersucht war so dermaßen unter meiner Engelwürde! Janus schien meine Gedanken zu lesen.
„Da spricht die Eifersucht. Nein, eine Schnepfe ist sie nicht, wenn ich sie richtig einschätze. Sie hat ein sehr intelligentes Gesicht.“
„Natürlich, sie hat Physik studiert. Und jetzt will sie sich auf die Erforschung von Psi-Phänomenen spezialisieren. Ich selbst habe sie zu Tom geschickt, weil sie in unser Haus gestolpert ist und dort ein paar Messungen vornehmen wollte.“
„Und du bereust es.“
Ich zuckte mit den Schultern. „Man kann das Schicksal nicht beeinflussen. Wer sich treffen soll, der trifft sich.“
„Genau daran glaube ich auch. Hast du Lust, auf den Hügel neben dem Wasserturm zu steigen? Dort oben gibt es bestimmt gerade einen herrlichen Blick auf den Abendhimmel.“
Es war ein klarer, eisiger Tag gewesen. Überall lag Schnee. Der Himmel verfärbte sich heute tatsächlich wunderschön in alle Rosa- und Lila-Töne, die man sich vorstellen konnte. Natürlich viel blasser als in der magischen Welt. Aber dennoch. Manchmal gefiel mir gerade das etwas Zurückgenommene der realen Welt.
„Oh ja“, sagte ich.
Die frische Luft tat gut. Ich merkte, dass ich zwar nicht ihre eisige Kälte, aber ihre Frische wahrnahm. Wir stiegen die vereisten Stufen hinauf. Ich hielt mich am Geländer fest.
Oben wehte ein kräftiger Wind. Janus zog sich seinen Hut weiter ins Gesicht.
„Und du, ohne Mütze und ohne Handschuhe!“ Er griff nach meinen Händen. „Du bist schon wieder der totale Eisblock. Na, da hilft nur eins.“ Ich rechnete mit einer männlichen Kümmergeste, aber stattdessen hatte ich plötzlich eine Ladung Schnee im Gesicht.
Verdattert blieb ich stehen. Schon traf mich ein weiterer Schneeball im Nacken.
„Na, warte!“, rief ich, griff in den Schnee und formte einen extragroßen Ball. Sekunden später befanden wir uns in der wildesten Schneeballschlacht unter der untergehenden Wintersonne von Berlin. Der Fernsehturm hob sich grau vom pinkfarbenen Himmel ab und blinzelte herüber mit seinen roten und blauen Lichtern.
Janus schmiss mich um und ich zog ihm ein Bein weg. Wenn es um Schneeballschlachten ging, wusste er einfach nicht, mit wem er es zu tun hatte! Zuhause in meinem Dorf war ich immer als Siegerin hervorgegangen, gegen meinen Vater, meine Oma, meine Freunde, alle!
Janus’ Haare und Augenbrauen hingen voller Schnee. Seinen Hut hatte er verloren. Er versuchte zwar, ihn sich wiederzuholen, aber das konnte ich erfolgreich verhindern. Dann kam er mit einer Riesenladung Schnee auf mich zu, ich stolperte, fiel rücklings auf den Boden und er rieb mir den ganzen Berg so richtig genüsslich ins Gesicht.
„Das muss sein, sonst wirst du ja nicht warm!“
Mit meinen Händen tat er das gleiche. Ich konnte nicht mehr, bekam einen Lachanfall und ließ es einfach geschehen.
Schließlich zog er mich hoch. Ich spürte, wie meine Wangen glühten. Meine Güte, sie glühten, ich spürte sie! So wie früher! Und es gruselte mich in diesem Moment gar nicht. Es war einfach nur wunderbar.
„Komm, und jetzt ins Warme. Ich lade dich zum Essen ein. Ich kenne einen superleckeren Italiener, ganz hier in der Nähe. Du wirst begeistert sein!“
Wir setzten uns in eine kleine Nische, deren Wände mit toskanischen
Weitere Kostenlose Bücher