Schattenmelodie
einem normalen Menschen schließlich nicht erklären …“
„Nein, das nicht, aber du …“ Er seufzte. „Es hat mich halt traurig gemacht, dass dir unsere Begegnung so unwichtig ist, dass du sie einfach wieder so in den Sand setzt.“
„Das stimmt überhaupt nicht!“
„Okay, das beruhigt mich. Aber warum …“
„Warum hast du mir die ganze Zeit nichts gesagt?“, unterbrach ich ihn unwirsch.
„Das wollte ich ja … Am Anfang zumindest. Also, nicht ganz am Anfang. Da wusste ich überhaupt noch nicht Bescheid. Da bist du mir einfach nur aufgefallen, in der Kneipe, an der Theke. Eigentlich wollte Viktor dir deinen Mantel hinterherbringen. Aber ich habe ihm den Mantel einfach weggeschnappt und bin dir nachgerannt.“
Er schwieg und sah mich an. Sollte ich mich jetzt über dieses Geständnis freuen? Dass irgendein dahergelaufener Typ mich als normale Frau so interessant fand, dass er mir den Mantel hinterherschleppen wollte?
„Ja und? Das tut überhaupt nichts zur Sache!“, antwortete ich schroff.
„Erst als wir vor dem alten Haus am Wetterplatz standen, war ich mir sicher, dass du jemand mit elementaren Fähigkeiten bist.“
„Schön. Und warum hast du dann nichts gesagt? Da nicht und die ganze Zeit danach auch nicht? Und überhaupt, wieso warst du dir so schnell sicher? Was bist du überhaupt? Feuer? Lass mich los!“
Ich entwand mich seinen Händen, denn dort, wo er mich festhielt, begannen meine Arme tatsächlich zu schwitzen.
„Ja, Feuer. Und ich spüre elementare Fähigkeiten bei anderen. Das ist mein besonderes Talent. Du bist Äther.“
„Ist mir bekannt“, sagte ich trotzig und rieb meine Oberarme, obwohl sie sich dadurch nur noch mehr aufheizten. Feuer, er war auch noch Feuer. War er das wirklich? Mit Feuer hatte ich mich eigentlich noch nie besonders gut verstanden. Feuer-Begabte waren mir zu impulsiv, zu wild, zu feurig eben. Zu meinen Erlebnissen mit Janus passte das gar nicht. Oder doch? Immerhin hatte er mich dauernd dazu gebracht, Dinge zu tun, die ich gar nicht wollte.
Und dann kamen mir lauter Situationen in den Sinn, die jetzt hervorragend ins Bild passten: wie Janus den Kamin in seinem Antiquariat so schnell anbekommen hatte, wie er sich über meine zwei Mäntel lustig gemacht hatte – er wusste ja, dass ich sie gar nicht brauchte – in welchem Ton er gesagt hatte, er verstünde alles. Na, klar tat er das! Und sehr wahrscheinlich kannte er Sardinien, weil er es durch die magischen Blasen bereist hatte.
„Warum hast du mir nicht die Wahrheit gesagt?“, begann ich erneut. Meine Wut war nicht zu überhören. Er blieb ruhig und bedachte mich mit einem offenen Blick.
„Ganz einfach. Als ich kapiert hatte, was dein Problem ist, dass du wieder so richtig lebendig sein willst, dich nur nicht recht traust, dachte ich, ich kann dir besser dabei helfen, wenn du es nicht gleich erfährst. Und es hat prima funktioniert.“
„Was?“ Ich war völlig konsterniert. Auf einmal schien Janus an allem Schuld zu sein und gar nicht Tom.
„Du hast mich also manipuliert? Du hast deine Spielchen mit mir getrieben. Ich will überhaupt nicht wieder lebendig sein. Es ist einfach der letzte Scheiß. Ich bin fertig damit! Du hast es nur schlimmer gemacht. So schlimm hätte es gar nicht werden müssen.“
Es tat richtig gut, solche Worte wie ‚Scheiß‘ zu sagen.
„Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass alles, was wir erlebt haben, schlimm für dich war.“
„Nein!“, rief ich spontan, aber ich meinte:„Ja! Doch!“, was ich auch lautstark hinterhergab. Dann schulterte ich meine Tasche, verschränkte die Arme fest vor der Brust und schritt, den Blick auf den Sand geheftet, in einem größeren Bogen an dem Hindernis Janus vorbei.
„Neve, … man kann das Lebendigwerden nicht wieder rückgängig machen, so wie man eine falsch aufgegebene Bestellung storniert. Du bist eine Frau voller Energie und Lebenshunger! Dein Lebenshunger ist so stark zu spüren, dass es einen glatt umhaut. Außerdem führst du dich jetzt genauso eisig auf wie Kim, nur dass du kein bisschen bist wie Kim.“
„Kim ist nicht eisig“, verteidigte ich sie.
„Wie auch immer, dein Versuch, wieder ein sublimiertes Engelchen sein zu wollen, ist jedenfalls, als wollte man eine wilde Insel unter eine Glasglocke stellen und damit das Meer aussperren, das sie ja erst zu einer wilden Insel macht.“
„Thh, da hast du dir ja eine tolle Metapher zurechtgelegt!“, zischte ich, aber genau diese Worte brachen den Damm
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